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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dem Gedanken: Manderley, ich habe wieder von Manderley geträumt , der mir durch den Kopf ging. Ich fuhr erfrischt und wie ein neuer Mensch nach Derry zurück.
    Der erste Tag des Jahres 1998 dämmerte klar und kalt und still und wunderschön. Ich stand auf, duschte und stand Kaffee trinkend am Schlafzimmerfenster. Plötzlich dachte ich - mit der einfachen, übermächtigen Gewißheit, mit der man weiß, daß oben über dem Kopf und unten unter den Füßen ist -, daß ich jetzt schreiben konnte. Es war ein neues Jahr, etwas
hatte sich verändert, und jetzt konnte ich schreiben, wenn ich wollte. Der Fels war fortgerollt.
    Ich ging in mein Arbeitszimmer, setzte mich an den Computer und schaltete ihn ein. Mein Herz schlug normal, ich hatte keinen Schweiß auf Stirn und Nacken, meine Hände waren warm. Ich zog das Hauptmenü herunter, das man bekommt, wenn man auf den Apfel klickt, und da war mein alter Freund Word sechs. Ich klickte darauf. Das Federhalterund-Pergament-Logo leuchtete auf, und plötzlich bekam ich keine Luft mehr. Es war, als wären mir Eisenbänder um die Brust gelegt worden.
    Ich stieß mich vom Schreibtisch weg, würgte und zog am runden Kragen des Sweatshirts, das ich trug. Die Rollen des Bürostuhls verfingen sich in einem kleinen Läufer - einer von Jos Funden in ihrem letzten Lebensjahr -, und ich kippte rückwärts um. Ich schlug mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf und sah einen grellen Sternenregen über mein Gesichtsfeld sausen. Ich schätze, ich kann von Glück sagen, daß ich nicht ohnmächtig wurde, aber ich glaube, mein wahres Glück am Neujahrsmorgen 1998 war, daß ich auf diese Weise umkippte. Wenn ich nur vor dem Monitor zurückgerollt wäre und weiter das Logo vor Augen gehabt hätte - und den gräßlichen leeren Bildschirm darunter -, dann wäre ich wahrscheinlich erstickt.
    Als ich mich aufgerappelt hatte, konnte ich wenigstens wieder atmen. Meine Kehle schien den Durchmesser eines Strohhalms zu haben, jedes Einatmen erzeugte ein unheimlich pfeifendes Geräusch, aber immerhin atmete ich. Ich schleppte mich ins Bad und übergab mich derart heftig ins Waschbecken, daß das Erbrochene bis zum Spiegel spritzte. Mir wurde schwarz vor Augen, die Knie gaben unter mir nach. Diesmal stieß ich mir die Stirn an, prallte damit gegen die Kante des Waschbeckens, und während mein Hinterkopf nicht blutete (allerdings hatte sich bis zum Nachmittag eine ansehnliche Beule gebildet), blutete die Stirn ein wenig. Außerdem blieb ein blauroter Bluterguß zurück, über dessen Ursache ich natürlich log, indem ich den Leuten, die danach fragten, erzählte, daß ich mitten in der Nacht gegen die Badezimmertür gelaufen wäre, ich Blödmann, das sollte mir eine
Lehre sein, nachts um zwei aufzustehen, ohne das Licht anzumachen.
    Als ich das Bewußtsein vollständig wiedererlangt hatte (sofern es ein derartiges Stadium gibt), lag ich zusammengerollt auf dem Boden. Ich stand auf, desinfizierte die Platzwunde an der Stirn und setzte mich mit zwischen den Knien hängendem Kopf auf den Rand der Wanne, bis ich mich kräftig genug fühlte, aufzustehen. Ich schätze, ich saß fünfzehn Minuten da, und in diesem Zeitraum überlegte ich mir, daß meine Karriere, sofern nicht ein Wunder geschah, zu Ende war. Harold würde vor Schmerz aufschreien und Debra ungläubig stöhnen, aber was konnten sie tun? Die Publikationspolizei schikken? Mir mit der Book-of-the-Month-Club-Gestapo drohen? Selbst wenn sie es könnten, was würde es ändern? Man bekam kein Harz aus einem Ziegel oder Blut aus einem Stein. Wenn keine wundersame Genesung stattfand, war mein Leben als Schriftsteller vorbei.
    Und wenn es so ist? fragte ich mich. Was ist mit den restlichen vierzig Jahren, Mike? In vierzig Jahren kann man eine Menge Scrabble spielen, eine Menge Kreuzworträtsel lösen, eine Menge Whiskey trinken. Aber ist das genug? Was willst du mit deinen restlichen vierzig noch anfangen?
    Darüber wollte ich nicht nachdenken, noch nicht. Die nächsten vierzig Jahre konnten sich um sich selbst kümmern; ich war froh, wenn ich nur den Neujahrstag 1998 hinter mich brachte.
    Als ich das Gefühl hatte, mich wieder unter Kontrolle zu haben, ging ich ins Arbeitszimmer zurück, schlurfte zum Computer, den Blick fest auf meine Füße gerichtet, tastete nach dem richtigen Knopf und schaltete die Maschine aus. Man kann das Programm beschädigen, wenn man einfach so abschaltet, ohne es zu schließen, aber ich dachte mir, daß das unter den gegebenen

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