Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
große Sonnenblumen mit Blüten wie Suchscheinwerfer sind zwischen den Dielen der kleinen Veranda auf der zur Einfahrt gelegenen Seite emporgewachsen. Der Gesamteindruck ist nicht der, als wäre das Haus verwahrlost, sondern vergessen worden.
    Der Hauch einer Brise weht, und die Kälte auf meiner Haut macht mir bewußt, daß ich geschwitzt habe. Ich kann Kiefernnadeln riechen - ein Geruch, der sauer und rein zugleich ist - sowie den schwachen, aber irgendwie gewaltigen Geruch des Sees. Dark Score ist einer der saubersten, tiefsten Seen in
Maine. Bis Ende der dreißiger Jahre war er größer, hat Marie Hingerman uns gesagt; dann hatte Western Maine Electric, die Hand in Hand mit den Sägewerken und Papiermühlen rund um Rumford arbeiteten, die Zustimmung des Staates bekommen, einen Damm am Gessa zu bauen. Marie hat uns auch einige reizende Fotos von Damen in weißen Röcken und Herren in Kanus gezeigt - diese Schnappschüsse stammten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, sagte sie und zeigte auf eine der jungen Frauen, die für alle Ewigkeit mit einem hocherhobenen tropfenden Paddel am Rand des Jazz-Zeitalters erstarrt war. »Das ist meine Mutter«, sagte sie, »und der Mann, den sie mit dem Paddel bedroht, ist mein Vater.«
    Eistaucher schreien, als beklagten sie einen Verlust. Nun kann ich die Venus am Himmel sehen. Sternenlicht, Sternenpracht, erfüll mir meinen Wunsch heut nacht … In diesen Träumen wünsche ich mir immer Johanna.
    Als ich meinen Wunsch gewünscht habe, gehe ich die Einfahrt hinunter. Natürlich. Es ist mein Haus, nicht? Wohin sollte ich gehen, wenn nicht zu meinem Haus, jetzt, wo es dunkler wird, und jetzt, wo das verstohlene Rascheln im Wald zugleich näher und irgendwie zielstrebiger zu sein scheint? Wohin kann ich sonst gehen? Es ist dunkel und wird furchterregend sein, allein an jenen Ort zu gehen (angenommen, es mißfällt Sara, daß sie so lange allein gelassen wurde? Angenommen, sie ist wütend?), aber ich muß. Wenn der Strom abgeschaltet ist, zünde ich eine der Sturmlampen an, die wir in einem Küchenschrank aufbewahren.
    Aber ich kann nicht runtergehen. Meine Beine bewegen sich nicht. Es ist, als wüßte mein Körper etwas über das Haus da unten, das mein Geist nicht weiß. Der Wind kommt wieder auf und zaubert Gänsehaut auf meine Arme, und ich frage mich, was ich gemacht habe, daß ich am ganzen Körper schwitze. Bin ich gelaufen? Und wenn ja, wo bin ich hingelaufen? Oder wovor weg?
    Auch mein Haar ist verschwitzt; es klebt mir als unschöner Wulst an der Stirn. Ich hebe die Hand, um es wegzustreichen, und sehe eine flache Schnittwunde, ziemlich frisch, oberhalb des Knöchels über den Handrücken laufen. Manchmal ist dieser
Schnitt an meiner rechten Hand, manchmal an meiner linken. Ich denke: Wenn das ein Traum ist, sind die Details gut getroffen. Immer derselbe Gedanke: Wenn das ein Traum ist, sind die Details gut getroffen. Das ist die reine Wahrheit. Es sind die Details eines Schriftstellers … aber vielleicht ist in Träumen jeder ein Schriftsteller. Woher soll man das wissen?
    Nun ist Sara Lacht nur ein dunkler Rumpf unten, und mir wird klar, daß ich eigentlich gar nicht dorthin will. Ich bin ein Mann, der seinem Verstand beigebracht hat, sich schlecht zu benehmen, und ich kann mir zu vieles ausmalen, was mich im Inneren erwartet. Ein tollwütiger Waschbär in einer Ecke der Küche. Fledermäuse im Bad - wenn ich sie aufschrecke, flattern sie mir ums Gesicht, fiepen und streichen mir mit den staubigen Schwingen über die Wangen. Vielleicht sogar eine von William Denbroughs berühmten Kreaturen von jenseits des Universums, die sich jetzt unter der Veranda versteckt hat und mich mit funkelnden, vereiterten Augen näher kommen sieht.
    »Nun, ich kann nicht hier oben bleiben«, sage ich, aber meine Beine bewegen sich nicht, und es sieht so aus, als würde ich hier oben bleiben, wo die Einfahrt in den Waldweg mündet; als würde ich hier oben bleiben, ob es mir gefällt oder nicht.
    Nun hört sich das Rascheln im Wald hinter mir nicht mehr wie kleine Tiere an (die meisten hätten sich inzwischen ohnehin für die Nacht in ihre Nester oder Löcher verkrochen), sondern wie Schritte, die näher kommen. Ich versuche, mich umzudrehen und nachzusehen, aber nicht einmal das kann ich …
    … und dann wachte ich für gewöhnlich auf. Als erstes drehte ich mich immer um und bestätigte meine Rückkehr in die Wirklichkeit, indem ich mir selbst bewies, daß mein Körper dem Verstand wieder

Weitere Kostenlose Bücher