Sarah Dearly Bd. 5 - Verliebt, verlobt, verbissen
gegeneinander und sind müde.«
»Gut gegen schlecht«, sagte Steven und nickte.
»Ich bin ein Verfechter der Grautöne.« Gideons Blick glitt über mich hinweg. »Jeder hat gute und schlechte Seiten. Es kommt nur darauf an, welche gerade stärker sind. Aber selbst jemand, den man für vollkommen böse hält, hat seine guten Seiten – wie ich zum Beispiel. Und jemand, den du für gut hältst – wie deinen Meistervampir vielleicht -, besitzt auch eine starke dunkle Seite.«
»Dessen bin ich mir durchaus bewusst.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
»Thierrys inneren Konflikt akzeptierst du, aber du willst nicht wahrhaben, dass ich das Gleiche durchmache?«
»Ich glaube, dass Handlungen mehr sagen als tausend Worte.«
»Meine Handlungen waren eindeutig. Ich habe dir das Leben gerettet. Ich habe dir die Goldkette geschenkt …«
»Die du wieder zerstört hast.«
»Du brauchst sie nicht«, erklärte er mit Nachdruck.
»Darüber lässt sich streiten. Du hast meine Freunde und meine Familie bedroht, um deinen Willen zu bekommen.«
»Dafür habe ich mich entschuldigt. Verzweifelte Zeiten verlangen verzweifelte Maßnahmen.«
»Du bist ein Vampirjäger.«
»Das kann ich nicht leugnen. Und dennoch sind wir hier. Wir stehen auf derselben Seite der Brücke, die mich in mein neues Leben führt.«
»Das ist lustig. Ich dachte, wir wären auf einem Friedhof.«
Um seine Augen bildeten sich Fältchen und deuteten auf
ein verstecktes Lächeln hin, das umgehend von Schmerz überschattet wurde. Er taumelte vorwärts. »Ich glaube, es ist bald so weit.«
Ich blickte zu Steven. »Ich dachte, du solltest mich nur herbeirufen oder so etwas. Wieso lungerst du hier noch herum?«
Der jugendliche Hexenmeister machte einen überaus unglücklichen Eindruck. »Ich habe noch ein paar andere Sachen zu erledigen. Mr. Chase war sehr genau.«
»Ich brauche Stevens Hilfe bei dem Ritual, damit die Kraft von deinem besonderen Blut auf mich übergeht. Es ist keine einfache Zeugung. Es ist zugleich ein Heilungsprozess. Außerdem brauch ich ihn noch aus einem anderen Grund.«
»Wozu?«, fragte ich alarmiert.
Gideon kam auf mich zu. Er wirkte müde, als er die vernarbte linke Hand hob und meine Wange streichelte. »Es ist besser, wenn du dich nicht dagegen wehrst. Als Nachtwandlerin hast du mehr Macht. Du kannst mir mehr nutzen. Es macht alles so viel einfacher.«
Verdammt, ja, stimmte meine Nachtwandlerin voller Überzeugung zu. Dieser Kerl gefällt mir .
Ich schob seine Hand weg. »Das kommt nicht in Frage.«
Er rührte sich nicht vom Fleck. Er kam sogar noch etwas näher. Er forderte das Schicksal heraus. Ich musste nur die Hand ausstrecken, um ihm den Hals aufzureißen und dem ein für alle Mal ein Ende zu machen.
Das Problem war, dass ich das nicht wollte.
Meine Nachtwandlerin strich unruhig in mir umher und war zunehmend schwieriger zu kontrollieren. Das Gift
von meinem Fluch brannte unter meiner Haut. Es sehnte sich nach Gideon – es mochte ihn.
Sehr, sogar.
Meine Nachtwandlerin begehrte Gideon Chase, er war der Größte. Sie fühlte sich genauso, wenn nicht sogar noch mehr, von seiner dunklen Seite angezogen wie von Thierrys, die sie bei jeder Gelegenheit so gern hervorlockte, um mit ihr zu spielen. Nur dass sie sie bei Gideon erst gar nicht hervorlocken musste.
Gideon wusste, dass ich Thierry liebte. Aber ich glaube, er wusste auch, dass meine Nachtwandlerin in ihn verliebt war. Sie hatte mich dazu gebracht, Thierrys Wünsche zu missachten. Sie war der Grund, weshalb ich hier war und um Mitternacht in einer kühlen dunklen Gruft vor Gideon stand, bereit, willig und in der Lage, ihn in einen Vampir zu verwandeln und seine unsterbliche Seele zu retten.
»Sarah«, sagte Gideon leise und streckte die Hand erneut nach meinem Gesicht aus. »Ich werde dich vermissen. Aber es muss sein.«
Ich schluckte, und Panik ergriff mich. »Was hast du …?«
»Steven«, sagte er lauter. »Jetzt!«
Ich fragte mich nur kurz, was er meinte. Die Kerzen erloschen. Etwas strich über meine Haut, aber es war nichts Greifbares – es war Magie. Stevens schwarze Magie. Sie tastete sich erst vorsichtig an mich heran, bevor sie in mich eindrang.
Ich keuchte. Die dunkle Seite meiner Nachtwandlerin wurde stärker und stärker, bis ich das Gefühl hatte, sie würde aus mir hervorquellen und von oben bis unten über
mich fließen. Ich versuchte, mich aus ihrem festen Griff zu lösen, aber sie ließ mich nicht vom Fleck weichen.
Dann war es
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