Sarum
Porteus seine Müdigkeit als Vorwand zu benutzen. Sie beklagte sich nicht. Eine gewisse Härte, ja fast eine Kälte des nun so erfolgreichen Römers machte sie ihm gegenüber zum erstenmal schüchtern.
Was Porteus betraf, so hatte er sich schon vor langer Zeit zurückgezogen und seine alte Leidenschaft zu seiner wilden keltischen Braut in sich verschlossen. Er wollte sie nicht mehr fühlen. Außerdem war er sehr beschäftigt.
Als Porteus für eine Weile nach Aquae Sulis zurückkehrte, freute er sich auf die Begegnung mit dem Sklavenmädchen und nahm bald die Gespräche mit ihm wieder auf.
Sie berichtete vieles, was er nicht wußte, nicht nur von ihrem allmächtigen jüdischen Gott, sondern auch von den neuesten Ereignissen in Palästina. Er hörte aufmerksam zu. Sie erzählte ihm von verschiedenen Sekten und ihren Streitigkeiten untereinander. Es gab eine neue Sekte, die ein jüdischer Prophet gegründet hatte, der eine Generation zuvor gekreuzigt worden war: ein Mann aus Nazareth. Manche behaupteten, er sei ein falscher Prophet gewesen, der den Tod verdient habe; andere jedoch meinten, er sei der jüdische Messias gewesen. Was immer zutreffen mochte – die Bewegung zog eine riesige Jüngerschaft nach sich und breitete sich weit über die Grenzen von Judäa aus. Porteus hatte nie davon gehört. Zweifellos würden diese neuen Fanatiker der Regierung in Rom zu gegebener Zeit Probleme verursachen. Immer aber kam das Mädchen auf ihre Idee eines einzigen Gottes zurück, eines Gottes, der keinen physischen Körper besitzt, keine menschlichen Eigenschaften, eines Gottes, gänzlich verschieden von den Göttern des römischen Pantheon. Und manchmal, wenn sie eine Weile so gesprochen hatten, blickte sie ihn mit ihren ernsthaften Kinderaugen an und fragte: »Was hältst du davon?«
»Du fragst wie ein Philosoph«, lachte er dann, »nicht wie eine Frau.« Er meinte, daß die Religion kein Thema für Frauen sei; auch gebildete Männer sollten sich nur am Rande dafür interessieren. Für ihn blieb kein Raum für geistige Leidenschaften, für die Hingabe an unsichtbare Kräfte, die sich nicht zu erkennen gaben. Alles, was ein Mensch auf seinem Lebensweg brauchte, waren die römischen Tugenden: Ausgewogenheit, Nüchternheit, Zurückhaltung, Mut und Patriotismus. Als er das dunkelhaarige junge Mädchen beim Gedanken an ihren unsichtbaren Gott, dem kein Römer opferte, in seiner Gegenwart den Tränen nahe sah, war er eigenartig berührt.
Es mußte so kommen, daß er sie, nachdem er einen Monat ohne seine Frau gewesen war, eines Abends in die Arme nahm. Und obwohl ihre Religion dies eindeutig verbot, war es nicht verwunderlich, daß die Sklavin sich dem Gefühl des Mannes überließ, das sie in ihrer Einsamkeit als Zuneigung empfand.
Obwohl das Mädchen kaum dem Kindesalter entwachsen war, erschloß die Beziehung dem Römer neue Welten. Ihre Zurückhaltung schmolz dahin. Wenn sie nachts einander in den Armen lagen, erzählte Naomi ihm Geschichten aus ihren heiligen Büchern, Berichte der Propheten und ihres Glaubens an Jahwe; von den alten jüdischen Herrschern; von Moses und seiner Reise ins Gelobte Land. Sie erzählte voller Begeisterung.
Diese Erfahrung war Porteus’ erste und einzige Bekanntschaft mit der religiös-geistigen Welt; obwohl er sie nur erahnte, fühlte er doch ihre Macht. Wie anders als seine Frau war dieses kleine dunkle Mädchen; wie tief war ihre Leidenschaft für ihren Gott, verglichen mit Maeves oberflächlichen heidnischen Bräuchen! Im Lauf der folgenden Monate war es ihm, als wäre seine Liebe zu dem hebräischen Mädchen etwas völlig Neues in seinem Leben.
Er versuchte die Beziehung geheimzuhalten, aber natürlich war dies vor den anderen Dienern in dem kleinen Haus unmöglich. Eines Morgens kam Numex früher als sonst, um seinen Herrn zu wecken, und fand das Mädchen in dessen Bett. Numex ging wortlos aus dem Zimmer, wartete draußen und erwähnte das Thema niemals, so daß Porteus nicht wußte, wie er darüber dachte und ob er zu irgend jemandem darüber gesprochen hatte.
Ob Numex es ausgeplaudert hatte oder auf welchem Wege es auch geschah – es dauerte jedenfalls nicht lange, bis seine Liebe zu dem Sklavenmädchen in Sarum bekannt war. Dies stellte sich heraus, als er nach längerer Abwesenheit im Sommer in sein Haus zurückkehrte. Seine Frau ließ sich nicht anmerken, ob sie von seiner Untreue wußte. Bei seiner Ankunft begrüßte sie ihn liebevoll und führte ihn fröhlich ins Haus, wo sie
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