Sarum
schien einen Alptraum gehabt zu haben, an den er sich jedoch nicht mehr erinnern konnte. Er spürte, daß es dem Mädchen ebenso erging wie ihm. »Es muß das Essen gewesen sein«, meinte er. Nach einer unruhigen Nacht sprach er am nächsten Morgen mit der Köchin und drohte ihr, sie zu entlassen, wenn diese Essensvergiftung noch einmal vorkomme. In der dritten Nacht begannen die Träume.
Zunächst hatte Porteus ein unbestimmtes Gefühl der Angst, wie ein Verbrecher, den ein schreckliches Urteil erwartet. Er konnte sich später noch an diese Empfindung erinnern, es war jedoch nur die Vorstufe des Traumes selbst. Er behielt jede Einzelheit im Gedächtnis. Er ritt auf der Hochebene von Sarum wie vor Jahren auf seinem grauen Hengst hinter Maeve her. Das Land lag in völliger Stille da, nicht einmal die Pferdehufe waren zu hören; er sah jedoch ihr langes rotes Haar im Wind flattern. Sie drehte sich nach ihm um – sie lächelte nicht, er sah mit Unbehagen, daß ihre Augen traurig blickten und sie ihr Pferd von ihm wegtreiben wollte. Wieder sah sie sich um. Diesmal waren ihre Augen eingefallen, und ihre Haut war totenbleich. Er wollte ihr helfen, sie trösten, aber sie entfernte sich immer weiter von ihm. Plötzlich war sie verschwunden. Er stand allein auf der einsamen Höhe. Da näherte sich eine fremde Gestalt in einer paenula, die Kapuze über dem Kopf. Erleichtert erkannte er Tosutigus.
Aber das vertraute Gesicht war weiß vor Wut. Die Augen funkelten. Tosutigus erhob den Arm zu einer anklagenden Geste, und dabei verwandelte sich sein Gesicht in einen Totenschädel, dessen Gebiß sich langsam öffnete und schloß. Entsetzt sah Porteus den Schädel wachsen. Nach kurzer Zeit füllte er die Hälfte des Himmels. Das offene Gebiß näherte sich, um ihn zu verschlingen. Porteus erfaßte lähmende Angst. Während das Gebiß sich um ihn schloß, erwachte er zitternd.
Wenn der Traum ihn auch schreckte, war es nichts gegen das Grauen, das er im Gesicht des Mädchens las, als er erwachte. Sie saß zitternd im Bett, die Arme um die Knie geschlungen, die Augen starr geradeaus gerichtet.
»Was ist geschehen?« fragte er.
»Nichts«, antwortete sie mit seltsam ausdrucksloser Stimme, »ein Traum.«
Er versuchte, sie zu trösten, legte den Arm um ihre Schultern, aber das Zittern hörte nicht auf.
Und so ging es Nacht für Nacht. Porteus entdeckte nichts im Essen, wofür er die Köchin verantwortlich machen konnte. Aber jede Nacht kamen die Alpträume und wurden immer schrecklicher. Manchmal wurde er von Schlangen angegriffen, manchmal ertränkt. Nach sieben Nächten konnte Porteus kaum noch schlafen. Dem Mädchen erging es noch schlechter. Ihre Augen sanken ein; sie saß in der Ecke und stöhnte; in der vierten Nacht bat sie ihn, nicht mehr bei ihr zu liegen. Er wußte nicht, was er tun sollte.
Das Mädchen fand schließlich die Lösung. »Du mußt mich verkaufen«, sagte sie einfach. »Warum?«
»Die Träume. Jahwe ist erzürnt, weil ich das Gesetz gebrochen habe: Es ist eine große Sünde, bei einem verheirateten Mann zu liegen. Es ist gegen das Gesetz Mose. Bei meinem Volk ist die Sünde noch schwerer, wenn der verheiratete Mann kein Jude ist.« Und sie brach bitterlich weinend zusammen.
Kamen vielleicht auch seine Alpträume aus dieser Schuld? »Ich möchte dich nicht verlieren«, sagte er. »Diese Träume werden vergehen. Vertraue mir.« Aber sie schüttelte den Kopf und wiederholte: »Ich habe gesündigt. Schick mich fort, oder ich werde keinen Frieden mehr finden.«
Drei Tage zögerte er. Er sagte ihr, wenn sie bleibe, würde er sie mit der Zeit aus der Sklaverei entlassen. Sie könnte wieder ein freier Mensch werden. »Vielleicht«, schlug er listig vor, »kannst du dann wieder nach Judäa zurückkehren.« Aber dem Mädchen war nicht zu helfen. Sie aß nicht mehr, und nach drei Tagen weinte sie ohne Unterlaß und bat so inständig, daß er schließlich außer Fassung rief: »Gut, dann wirst du als Sklavin verkauft, wenn dein Gott das verlangt! Aber dein Gott ist grausam.«
Sie schüttelte traurig den Kopf und murmelte: »Er ist gerecht.« Am nächsten Tag beobachtete Porteus mit Tränen in den Augen, wie Numex das Mädchen zu dem schmutzigen Forum hinunterführte und einen Händler fand, der sie für einen beachtlichen Preis nahm. Damit war die Affäre zwischen Porteus und dem hebräischen Mädchen vorüber: Lag es am Gott Jahwe, an den Zaubersprüchen von Maeve und ihren Frauen, an etwas, das Numex und die
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