Sarum
Köchin ins Essen gemischt hatten, oder war es einfach die Macht des Gewissens? Er sah sie niemals wieder.
Ein paar Tage später kehrte Porteus nach Sorviodunum zurück. Seine Frau begrüßte ihn herzlich. Porteus war auch erleichtert, daß Tosutigus am Abend zur Villa kam, um seinen Schwiegersohn willkommen zu heißen. Als er am folgenden Morgen neben dem Stammesfürsten auf dem hohen Wall der Düne stand und über die vertraute Hügellandschaft blickte, wo er so vieles vollbracht hatte, wurde es Porteus zu seiner eigenen Überraschung bewußt, daß er Marcus und Lydia schon fast vergessen hatte, daß er sicher auch bald das hebräische Mädchen und ihren gestrengen Gott vergessen würde – und daß er froh war, wieder in Sarum zu sein.
Z WIELICHT
427 n. Chr.
Placidia sagte nichts. Sie war müde und traurig, doch als sie die turbulente Szene betrachtete, wußte sie, daß sie das nicht zeigen durfte. Mußte sich ihre kleine Familie bei den allseits drohenden Gefahren auch noch selbst zerstören?
Ihr Sohn Petrus erbat durch Blicke ein Zeichen des Einverständnisses von ihr, doch sie gab es nicht.
Ihre dunkel glänzenden Augen waren immer noch schön; zumindest diese hatte das Alter nicht verändert. Früher hatten sie nur etwas fröhlicher dreingeblickt, doch jetzt waren sie nachdenklich, ein wenig ironisch und resigniert.
Sie wurde langsam alt – ihr Mann sagte ihr das oft –, aber immer noch bewegte sie sich mit würdevoller Anmut, und die Linien in ihren feinen Gesichtszügen verliehen ihr den Ausdruck von Adel. Sie liebte ihre Familie. Petrus, den hitzköpfigen Sohn, der ihre wunderschönen dunklen Augen geerbt hatte, doch zuwenig von ihrem gesunden Menschenverstand. Petrus, der dachte, daß er Streitereien mit dem Vater nur um der Mutter willen habe, der in seiner Egozentrik tatsächlich glaubte, er liebe sie. Armer Constantius – ihr Mann! Er achtete und haßte sie zugleich, weil er sich nicht selbst achten konnte. Und der treue Numincus, der stämmige Verwalter mit dem großen Kopf und den kurzen Fingern – er verehrte und bewunderte sie; er hätte wahrscheinlich sein Leben für sie gegeben.
Diese drei waren alles, was sie hatte. Und jetzt hatten sie schon wieder Streit…
Es war Nachmittag, und Constantius Porteus war betrunken. Er schrie und tobte. In der Hand hielt er noch immer das lederne Zaumzeug, das er gereinigt hatte.
Durch den Nebel aus Alkohol und Zorn, der seinen Blick verdunkelte, konnte er die Personen vor sich noch recht gut erkennen: Placidia, seine würdevolle grauhaarige Frau, die ihn verachtete; die untersetzte Gestalt des Numincus, seines Verwalters, der nun respektvoll, doch schützend vor ihr stand – der Narr; und schließlich die zwanzig Jahre alte Ausgeburt von einem Sohn, der soeben seine Rede zu Ende brachte.
»Du Balg«, brüllte er, »ich bin der Herr im Haus. Pater familias! Nicht du! Ich will keine Germanen hier. Dies ist ein christliches Haus.«
»Was willst du also tun?« Der junge Mann drehte sich ihm rasch zu. »Nichts, wie üblich, nehme ich an, außer dich betrinken und zusehen, wie meine Mutter umgebracht wird?«
Constantius öffnete den Mund zum Widerspruch, doch das rechte Wort fiel ihm nicht ein. Da erinnerte er sich an das Zaumzeug. Mit aller Kraft stürzte er sich auf seinen Sohn und holte aus… Der Schlag des Leders gab einen lauten Knall, ein Stöhnen folgte. Gleichzeitig stolperte Constantius und fiel fast auf die Knie. Ein blödes Grinsen breitete sich über sein Gesicht. Das sollte dem Jungen eine Lehre sein! Da runzelte er die Stirn. Irgend etwas stimmte nicht. Der Junge wirbelte zu ihm herum. Numincus’ rundes Gesicht war rot angelaufen, er zitterte am ganzen Leib und rang zornig die Hände. Placidia stand ganz still und hatte ein rotes Mal quer überm Gesicht. Aus ihrem Mund tropfte Blut. Er hatte also nicht getroffen? Petrus beugte sich mit geballten Fäusten über ihn. Unwillkürlich hob Constantius den Arm zum Schutz. »Halt!« rief Placidia befehlend. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Constantius war noch immer in Abwehrstellung. Placidias Stimme durchbrach erneut das Schweigen. »Petrus, laß uns allein.«
»Aber, sieh doch, was er getan hat«, protestierte der junge Mann heftig. Würde sein betrunkener Vater auch sie zugrunde richten? Er fühlte eine Welle des Mitleids für sie in sich aufsteigen und war im Begriff, seinen Vater niederzuschlagen.
Placidia wußte, daß sie nun mehr denn je die letzten Reste von Constantius’
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