Sarum
Weideaufseher. Diese regelten den Weidebetrieb im Forst. Man durfte zwar eines der nicht registrierten, reichlich vorhandenen Tiere – Hasen, Füchse, Eichhörnchen, Rebhühner, Fasanen oder Waldschnepfen – schießen, aber Wehe, wenn man sich an Wild vergriff. Dieses Vergehen wurde mit Verstümmelung oder Tod bestraft.
Godric wußte, daß er bereits ein Verbrechen begangen hatte, denn Harold war nicht offiziell gekennzeichnet. Es gab eine kluge Maßnahme, an der die Förster strikt festhielten: Jeder Hund, auch der kleinste, durfte sich nur im Wald bewegen, wenn ihm drei Krallen von seinen Vorderpfoten gekürzt worden waren. Ein schmerzloser Eingriff, doch dadurch war der Hund nicht mehr schnell genug, um das Wild zu jagen. Leute, die dieses Gesetz brachen, wurden bestraft, und ihren Hunden wurden auf der Stelle die Krallen beschnitten. Da er Harold schon als Hirtenhund für die Schafe abgerichtet hatte, wofür er besonders geeignet schien, hatte Godric ihn dieser Prozedur nicht unterziehen wollen. Er rief den Hund rasch bei Fuß und kehrte um.
Kurz darauf blieb er wie erstarrt stehen. Er hatte einen Weideaufseher entdeckt.
Glücklicherweise hatte dieser ihn nicht bemerkt. Er war im Augenblick nicht auf Wilderer aus. In Gedanken war er bei einer Unregelmäßigkeit in den Abrechnungen, die dem Waldaufseher vorgelegt werden mußten. Edward Le Portier war sehr genau; die meisten Leute hielten ihn für pedantisch. Doch er genoß dadurch einiges Ansehen. Er war schlank und dunkelhaarig und hatte ein glattrasiertes, rundes Gesicht. Seine Augen blickten seltsam starr, ohne jeglichen Humor, und seine Stimme war hoch und krächzend. Und nun stand dieser Mann nur etwa zwanzig Meter von dem Jungen und seinem Hund entfernt. Zum Glück war da eine Eiche, die den beiden Deckung bot. Godric ließ sich auf ein Knie nieder, legte seine Hand sanft über Harolds Schnauze und hielt den Atem an. Er hörte, daß Le Portier kurz stehenblieb, ehe er seinen Weg fortsetzte.
Godric verharrte noch eine Weile in dieser Stellung. Harold wartete geduldig neben ihm. Erst als die Luft wirklich rein war, stand der Junge auf. Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
Da sah er plötzlich das Schwein. Es war dick und schwarz, nicht besonders groß, und es strich gemächlich dahin, den Rüssel am Boden. Sicher suchte es nach Eicheln, die auf dem Waldboden herumlagen. Es war nichts Außergewöhnliches an diesem Schwein, außer einem kleinen Brandzeichen an der Hinterbacke – demnach gehörte es William atte Brigge.
Godric wußte, daß der Gerber ein halbes Dutzend Schweine hatte und Abgaben für das Weiden im Forst bezahlte. Er lächelte, als er das Schwein sah. Es war zwar ein großes Risiko, aber jetzt erkannte er, wie er sich rächen konnte. Er legte seine Hand auf Harolds Rücken, zeigte auf das Tier und flüsterte: »Faß es!«
Drei Tage später ging Godric in der Dämmerung zum Schmied und holte Mary zu einem Spaziergang ab. Nach einigem Zögern und dem üblichen mißtrauischen Seitenblick, der ihn eigentlich entmutigen sollte, willigte sie ein. Godric war in bester Laune und nahm einfach ihre Hand, während sie an den weiten umgeackerten Feldern entlanggingen. Harold sprang neben ihnen her. Die ersten Schößlinge des Sommergetreides waren bereits zu sehen. In der feuchten Luft hing noch eine leichte Kühle, und Godric legte seinen Arm um Mary. Zuerst schüttelte sie ablehnend die Schultern, doch dann ließ sie ihn gewähren. Am Ende des Feldes fragte er sie ganz beiläufig: »Kannst du ein Geheimnis bewahren?«
»Kommt darauf an«, erwiderte sie lustlos.
Auf dem Rückweg schwieg er. »Was ist es denn?« erkundigte sie sich schließlich.
Er ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich zeig’ es dir.« Langsam führte er sie ins Dorf zurück bis zu seiner schäbigen Hütte am Ende der unregelmäßigen Häuserzeile. Mary bemerkte eine dünne Rauchsäule über der Hütte. An der Tür zögerte sie, und er spürte, wie sich ihre Schultern zusammenzogen. Er ging fröhlich voran. »Da drin ist es.«
Es war eine sehr bescheidene, strohgedeckte Hütte. Zuerst betrat man eine Vorratskammer mit zwei Hühnern in einem Käfig, mit den Arbeitsgeräten, mehreren Reisigbündeln und Holzpflöcken und anderem Kram. Der Fußboden bestand aus festgestampfter Erde. Der innere Raum war kleiner, etwa dreieinhalb Meter im Quadrat, der Boden mit getrockneten Binsen bedeckt und in der Mitte ein kleines offenes Feuer auf einem Rost unter einem Loch im Dach. Licht kam
Weitere Kostenlose Bücher