Sarum
in der Familie des Leibeigenen aufgeteilt wurden, mußte der arme Godric alles allein schaffen. Damit war es aber noch nicht getan; an Ostern hatte er dem Gemeindepriester das übliche Geschenk an Eiern von dem Dutzend Hühnern zu geben, die er neben seiner Hütte hielt, und bei der Ernte ging ein Zehntel des wenigen Getreides von seinem Land als Kirchenzehnter an den Priester.
Solange er gesund blieb, konnte er sich durchbringen, doch er brauchte eine Frau, die ihm half. Wenn auch seine Mutter angesichts seiner erbärmlichen Statur versichert hatte, keine würde ihn je heiraten, gab er die Hoffnung nicht auf. Er hatte sogar schon eine Anwärterin im Auge. Die jüngste Tochter des Dorf Schmiedes, Mary, hatte als Kind eine Hautkrankheit durchgemacht. Nun war sie pockennarbig und unscheinbar. Sie war von kleinem Wuchs, und die schielenden Augen verliehen ihr einen Ausdruck von Mißtrauen, oft von Bitterkeit. Ihre Familie war fast genauso arm wie er, und das Mädchen sah aus, als hätte es immer Hunger. Und doch fand er sie gar nicht so übel und zeigte ihr sein Interesse. Der Schmied hatte nichts gegen ihn. Was Mary betraf, so hatte sie ihm ein- oder zweimal ohne sichtliche Begeisterung gestattet, ihre Hand zu halten. Er war entzückt von ihren kleinen Brüsten, die sich bei der Dreizehnjährigen schon deutlich abzeichneten, und er hatte sich vorgenommen, diese Brüste zur Erntezeit zu berühren.
Immerhin, so hatte der Schmied seiner Frau und seiner Tochter an Ostern eröffnet, spreche doch einiges für Godric. Es stand außer Frage, daß er eine auffallende Begabung für die Holzschnitzerei hatte. Seine Spezialität waren Hirtenstäbe. Die Dachse, die Schafe, die eleganten Schwäne auf den geschwungenen Griffen erwachten unter seinen Händen gleichsam zum Leben.
»Er ist nicht sehr kräftig«, meinte die Frau des Schmieds, »die Feldarbeit ist zu schwer für ihn. Wenn er nur ein Hirte wäre!« Genau das wollte Godric sein. In jeder freien Minute zog er über die Anhöhen, wo die Schafe grasten, unterhielt sich mit den Hirten und half beim Waschen und Scheren, ohne daß man ihn bitten mußte. Er wußte praktisch alles über Schafe, und auf alle Fälle war er körperlich für diese Arbeit viel besser geeignet als für die Schinderei auf den Feldern. Außerdem stand dem Schafhirten den ganzen Sommer über eine Schüssel Molke zu, sonntags die Milch von einem Mutterschaf, ein Lämmchen des Herrn nach der Entwöhnung und ein Fell bei der Schur. Mit diesem Thema war sein Onkel am Tag zuvor bei Godefroi vorstellig geworden. »Macht aus dem Jungen einen Schafhirten«, bat er, »und ich verbürge mich dafür, daß er Euch nicht enttäuschen wird. Er ist für die Feldarbeit nicht geschaffen.«
Godefroi sagte nicht sofort zu. Er ließ sich nicht gern überrumpeln. »Jedenfalls hat er nicht nein gesagt«, erzählte Nicholas seinem Neffen. Da es der Tag nach Hokeday, dem zweiten Dienstag nach Ostern, war, gab es viel zu tun. Am Hokeday wurden die Gemeindeschafe auf dem Gelände des Lehnsherrn eingepfercht. Den ganzen Morgen half Godric den anderen Leibeigenen, die Hürden aus Ruten an den Hängen über dem Tal aufzustellen. Mittags mußte er bei den Ochsen mit Hand anlegen, die paarweise vor den schweren Pflug gespannt wurden. Das große Feld mußte für diese Saison zum Brachfeld umgepflügt werden. Nachmittags hatte der Vogt keine Arbeit mehr für Godric und schickte ihn heim. Das war ein unerwarteter Glücksfall, denn es blieben ihm noch viele Stunden Tageslicht, und er war kaum müde. Er holte seinen Hund und machte sich auf den Weg durchs Tal.
Es war der reine Zufall, daß er an diesem Tag Gelegenheit fand, an William Rache zu nehmen.
Es war ein schöner Tag, und der Hund Harold brauchte Auslauf. So ging Godric am Wall des Kastells entlang und durch die leicht bewaldete Senke.
Nach etwa einer Meile blieb er plötzlich stehen; erst jetzt bemerkte er, daß er aus Versehen verbotenes Gelände betreten hatte – den königlichen Wald von Clarendon.
Die Wälder im Besitz der normannischen Könige bedeckten ein ausgedehntes Gebiet, fast ein Fünftel des Königreiches, und Sarum lag inmitten eines der größten Wälder.
Hier galten strenge Forstgesetze. Man durfte, sofern man die Erlaubnis hatte, Brennholz sammeln, doch wenn man einen aufrecht stehenden Baum berührte, wurde man bestraft. Kein Bauer durfte seine Schweine oder sein Vieh auf diesem Gelände frei weiden lassen, außer er bezahlte einen Tribut an die
Weitere Kostenlose Bücher