Sarum
bringen.
Öfters holte er Mary in seine Hütte, teilte mit ihr einen neuen Leckerbissen und beobachtete ihren gierigen Blick, mit dem sie das von ihm zubereitete Mahl betrachtete.
Mit der Zeit wurde sie zutraulicher. Ihr Gesicht wirkte nicht mehr so verkniffen und etwas voller. Ab und zu lächelte sie sogar, und er durfte sie küssen; sie schien daran Spaß zu finden. Er versuchte nicht, den Gang der Dinge zu beschleunigen, und er hielt seinen genau berechneten Plan ein, bis ihre Zusammenkünfte zu einer feststehenden Einrichtung geworden waren. Ende Mai war es allgemein bekannt, daß die beiden miteinander gingen. Sogar Godefroi wußte davon und nickte ihnen freundlich zu, wenn er ihnen begegnete.
Am frühen Abend jenes Schurtages kam Mary allein vom Tal herauf. Sie hatte den ganzen Tag in der Meierei neben dem Herrenhaus gearbeitet, wohin die Milch der Kühe und Ziegen in großen Bottichen gebracht und wo sie zu Käse verarbeitet wurde. Mary hatte einen kleinen Ziegenkäse und einen Laib Brot dabei.
Als sie den Hügelkamm vor sich sah, wußte sie, daß es kein Zurück mehr gab, sobald sie ihn überschritten hatte. Aber sie zögerte nicht. Sie hatte eingehend über ihre Zukunft nachgedacht. Sie war noch sehr jung, aber ihr Leben konnte ebensogut bald zu Ende sein, und keinesfalls würde es besonders rosig werden. Danach kam Himmel oder Hölle – wer wußte das schon! Bis dahin gab es nur zwei wichtige Dinge: Sie mußte zu essen haben. Und sie mußte, wenn möglich, einen Mann finden.
Sie hatte gerade die Pubertät hinter sich. Bald würden diese Fragen akut werden, und ihre Aussichten standen nicht gut. Im Augenblick hatte sie einen winzigen Vorteil. Ihr Körper war noch recht kindlich, hatte jedoch etwas Unbeholfen-Frisches, das der junge bucklige Schäfer reizvoll fand. Klug hatte sie gefolgert, daß sie wohl nie besser aussehen würde als eben jetzt.
Manchmal ließ sie ihre Gedanken schweifen und überlegte, welche Männer sie attraktiv fand. Der Ritter von Avonsford gehörte dazu. Aber unter den Männern in Avonsford gab es keinen, der sie interessierte, und bei ihren gelegentlichen Besuchen in Sarisberie oder Wilton hatte keiner je mit ihr ein Wort gewechselt.
Godric hatte sie angesprochen. Doch gerade das hatte sie mißtrauisch gemacht: Wenn er sich mit ihr abgab, dann nur, weil er keine Bessere fand. Dies machte sie sich klar. Aber sie durfte vom Leben nicht viel erwarten – das war ihre einzige Möglichkeit, sich Demütigungen zu ersparen. Immerhin sprach er ja mit ihr, und er war wenigstens praktisch veranlagt. Sie war sich im klaren darüber, daß sie um ihr Überleben kämpfen mußte, und so konnte sie niemanden gebrauchen, der unpraktisch war. Die Fähigkeiten des jungen Mannes hatten es ihr angetan. Sie bewunderte seine Begabung fürs Schnitzen, und es gefiel ihr, wie er die Mahlzeiten für sie zubereitete. Ihr Vater redete gut über ihn, auch das sprach zu Godrics Gunsten. Merkwürdigerweise wurde Mary allmählich auch von seinem körperlichen Gebrechen angezogen. Wenn sie an ihre eigene Unansehnlichkeit dachte, tröstete sie sich mit dem Gedanken, daß er sie wenigstens nie verachten würde.
Seit dem frühen Morgen hatte die Schafschur angedauert. Godric half die Wolle einsammeln. Obwohl Harold aufstand und dem Mädchen zur Begrüßung entgegenlief, bemerkte Godric es nicht sogleich. Dann aber ging er lächelnd auf sie zu. »Fertig mit der Meierei?« Sie nickte.
Er sah das Päckchen in ihrer Hand. »Was ist das?« Sie hielt ihm mit unbewegtem Gesicht den Käse hin. »Das ist für dich.« Er sah sie fest an und nahm den Käse feierlich entgegen. Sie hatte ihm bis dahin nie ein Geschenk gemacht, und er wußte, was das bedeutete: Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Die daneben stehenden Männer grinsten.
»Wir brauchen noch eine Weile…« begann er, doch da hörte er die Stimme des Vogtes: »Godric Body, du bist fertig für heute.« Allgemeines Gelächter in der Runde. Godric errötete und blickte zum Vogt hin, der breit lächelte. Er hatte nicht oft einen freundlichen Blick von ihm bekommen.
Godric sah das Mädchen an. Zum erstenmal, seit er ihr den Hof machte, kam er sich linkisch vor. »Sollen wir?«
Sie nickte. »Hier entlang.« Sie deutete über das Hochland aus dem Tal hinaus.
Beim Gehen spürte er die Sonne auf seinem Rücken, und Mary schob ihren Arm in den seinen. Vor ihnen tollte Harold umher und jagte seinen eigenen Schatten auf dem Gras.
Sie gingen fast eine Stunde und
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