Sarum
verschiedene Wege an: Godefroi konnte, wie viele andere, Buße tun; er konnte der Kirche Ländereien stiften; oder, besser noch, er konnte auf Reisen gehen.
Zur Zeit seines Großvaters war das einfach gewesen. Als Papst Urban II. im Jahr des Herrn 1095 den ersten Kreuzzug ausgerufen hatte, war der damalige Richard de Godefroi diesem Ruf freudig gefolgt. Was konnte ein Ritter mehr verlangen als die Gelegenheit, im Waffendienst, den er beherrschte und am meisten liebte, seine Seele von Schuld reinzuwaschen? Richard dachte voll Neid an jene Tage. Es war nicht nur der Gedanke, durch Waffen zu Ehren zu kommen, der ihn lockte. Tief im Innern spürte er eine Ruhelosigkeit, eine Wanderlust, die trotz seines ruhigen Lebens auf seinem Besitz im Lauf der Jahre immer stärker und drängender wurde. Der Geist des umherziehenden altnordischen Abenteurers – wenn er jetzt auch Französisch sprach und nicht mehr in seinem Ursprungsland wohnte – lag ihm noch im Blut. Auf einem Kreuzzug konnte ein Krieger reisen, für Gott streiten, und alle Sünden wurden ihm vergeben. Mehr konnte man nicht verlangen. Doch in seiner, Richards, Generation gab es keine Kreuzzüge mehr. So blieb die nächste Alternative: eine Pilgerreise, vorzugsweise ins Heilige Land.
Dieses Problem stellte sich nun für Richard de Godefroi. Seit Jahren hatte er gut für seine Frau und seine Kinder gesorgt; seine Ländereien waren in bestem Zustand. Aber seit Jahren verging auch kein Tag, an dem er nicht von seinem Aufbruch in das große Abenteuer seines Lebens geträumt hätte.
»Ich bin fast fünfzig«, murmelte er. »Wenn ich nicht bald gehe, ist es zu spät.«
Doch nun, wo er endlich soweit war, drohten ein verrückter König und ein Haufen skrupelloser mächtiger Herrn das Land in einem Feudalkrieg auseinanderzureißen. Wenn es zu diesem Krieg kam, konnte er seine Familie nicht allein lassen, und in der momentanen Unsicherheit würde sein eigener Lehnsherr, William von Sarisberie, ihm wahrscheinlich nicht die Erlaubnis zu dieser Reise erteilen.
Er blieb eine halbe Stunde am Grabe Osmunds, aber zu seinem Leidwesen kam er zu keinem Entschluß. Schließlich erhob er sich und ging langsam aus der Kirche.
Es überraschte ihn nicht, daß Nicholas vor der Tür geduldig auf ihn wartete. Er schenkte ihm ein kleines Lächeln.
»Dein Neffe, Godric Body«, sagte er kurz, »was wolltest du für ihn erbitten?«
Als Godric Body am nächsten Morgen über die sonnenhellen Felder blickte, dachte er, sein Leben sei doch nicht hoffnungslos. Sein Onkel unternahm etwas zu seinen Gunsten beim Lehnsherrn, und die Schrammen, die William atte Brigge ihm beigebracht hatte, waren nicht so schlimm.
Er kraulte das weiche Nackenfell des jungen Hundes, der erwartungsvoll neben ihm stand. Der Hund Harold war von unbestimmbarer Herkunft, aber für ihn war er ein strakur, die niedrigste Art der Jagdhunde, also etwas wie ein Spürhund. Er hatte schwarzbraunes Fell und hellwache Augen. Godric sah auf seinen Begleiter mit einem verschmitzten Lächeln herab. »Wir regeln das mit William«, versicherte er ihm; doch wie, das wußte er noch nicht genau.
Er mußte vorsichtig zu Werke gehen. Eine Woche zuvor hatte ihn der Vogt mürrisch gewarnt. »Ich glaube, du bist ein Querulant, Godric Body. Gib acht! Die Frankpledge überwacht dich.« Das System der Frankpledge, bestehend aus zwölf Männern aus jedem Dorf, die dem Sheriff des Königs Rechenschaft über die gute Führung aller Gemeindemitglieder ablegen mußten, war eine inoffizielle, doch höchst wirkungsvoll arbeitende Polizeimacht. Falls ihnen ein Verbrecher entwischte, wurde über die Mitglieder selbst eine Strafe verhängt. Godric Body führte ein ärmliches Dasein. Er besaß so gut wie nichts. Nicholas und seine Familie bewirtschafteten etwa dreißig Morgen Land, aus denen sie einen bescheidenen Überschuß herausholen konnten. Sein Onkel hatte außerdem vierzig Schafe, die er auf dem Gemeindeland an den Hängen weiden ließ.
Doch der einfache Godric auf der untersten Stufe der Lehnspyramide hatte nur zwei Morgen Landstreifen. Als sein Vater starb, nahm Godefroi die beste der drei armseligen Kühe, die die Familie auf der Gemeindewiese weidete. Zu dieser Einbehaltung war der Lehnsherr beim Tod eines Leibeigenen berechtigt. Außerdem mußte Godric Godefroi vier Tage in der Woche Dienst auf dem Grund des Herrn leisten – schweren Dienst: Ernte einbringen, Dünger aufbereiten und Unkraut jäten. Während diese Pflichten normalerweise
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