Sarum
durch eine rechteckige Öffnung in der Wand. Sie war, wie üblich in solchen Hütten, mit einer dünnen Lammhaut verschlossen, die, gedehnt und geölt, lichtdurchlässig war.
Mary ging vorsichtig hinein und entdeckte an einem Spieß über dem Feuer ein Stückchen gepökeltes Schweinefleisch. Als sie den Duft schnupperte, leuchteten ihre Augen – seit einem Monat hatte sie kein Fleisch mehr gegessen.
»Willst du was davon?« fragte er leise. Er merkte, welch eine Versuchung es für sie war.
Sie stand ganz still. »Woher hast du das?« Ihre leise Stimme zitterte ein bißchen.
»Ist doch egal.« Er holte ein Messer und schnitt ein Stück ab. Er merkte, wie sie schwach wurde. Sie aßen alles auf.
Danach sah er sie ernst an. »Du sagst bestimmt nichts?«
Sie blickte zu Boden. Sie wußten beide, was sie da getan hatten. Sie schüttelte den Kopf.
»Wenn sie dich fragen: Du hast kein Fleisch gegessen«, schärfte er ihr ein. Sie nickte.
Dann begleitete er sie hinaus. »Ich hab’ noch mehr«, flüsterte er draußen im Dunkeln.
»Wo?«
Er lächelte. »Dort, wo sie es nie finden werden.«
Vor dem Haus ihres Vaters küßte er sie auf die Wange, und sie hatte keine Einwände.
Im Hochsommer war die politische Lage in England besorgniserregend geworden. Erst in der vergangenen Woche hatte ihm in dem kleinen befestigten Hafen von Twyneham ein französischer Händler Godefroi versichert, daß Kaiserin Mathilde für das Spätjahr eine Kanalüberquerung plane und daß sie mit der Unterstützung des Grafen Robert von Gloucester, eines der vielen illegitimen Söhne des letzten Königs, rechnen könne, ebenso mit der seiner Verbündeten, die die wichtigen westlichen Städte Bristol und Gloucester am Fluß Severn zu Lehen hatten. Beide Städte waren uneinnehmbar. Wenn auch Mathilde durch ihre anmaßende Art sich in vielen Gegenden unbeliebt gemacht hatte, wenn auch der Papst und König Ludwig von Frankreich unerschütterlich hinter Stephan standen, waren die Aufständischen doch überzeugt, daß sie den König stürzen könnten. Und nach Godefrois Meinung hatten sie recht. Der gutmütige König hatte sich allzuoft schwach gezeigt. Mathildes zweiter Gemahl, der hinterhältige Gottfried von Anjou, versuchte immer noch mit allen Mitteln, die Normandie Stephans Bruder und Verbündetem Theobald zu entreißen. Die Unterstützung des Königs südlich des Kanals konnte jederzeit abfallen. Abgesehen von der siegreichen Schlacht der Standarte im vorangegangenen Jahr, als er einer einfallenden schottischen Armee einen Denkzettel verpaßte, gereichten ihm wenige entscheidende Taten zur Ehre.
Die Äbtissinnen von Wilton und Shaftesbury, die große Ländereien im Westen besaßen, würden sich wohl neutral verhalten; bei den ortsansässigen Familien wie den Giffards, Marshalls und Dunstanvilles war er sich nicht so sicher. Doch gewiß würde sich William von Sarisberie gegen Stephan stellen, wenn es ihm paßte, und der Bischof hatte seine vier Kastelle bereits für den Kriegsfall gerüstet. Wie aber würde er, Godefroi, sich verhalten?
Angesichts seiner Lehnssituation war er sehr unschlüssig. Es war ein verwickeltes System. William von Sarisberie schuldete als Kronvasall dem König den Dienst mehrerer Ritter. Theoretisch stellte er seinerseits sie zur Verfügung, indem er die verlangte Anzahl von Untervasallen aus dem niederen Adel zusammenstellte, von denen jeder eine Landparzelle besaß, die genügend abwarf, um die Abgaben eines Ritters zu decken. Doch praktisch war sein Land in so viele Kleinbesitze aufgesplittert, daß die Lehnsleute vielleicht nur ein Viertel, ein Zehntel, ja ein Vierzigstel der Abgaben eines Ritters aufbringen konnten, die ihm im allgemeinen bar bezahlt wurden. Godefroi selbst war ein solcher Vasall, aber er war auch ein ausgebildeter Kampfritter und deshalb einer von jenen, die William sicher zum – bezahlten – Waffendienst rufen würde. Obwohl er seinem Herrn zum Lehnsdienst verpflichtet war, war er im Grunde nichts anderes als ein zeitweiliger Söldner.
Doch was, wenn man von ihm verlangte, gegen den König zu kämpfen? Wo lag da seine Pflicht? Und was wäre der sicherste Kurs? Eines hatte Godefroi allerdings entschieden. In den vergangenen Monaten hatte John von Shockley verschiedentlich bei Godefroi wegen der Drohungen Williams, den Prozeß wiederaufzunehmen, Rat gesucht. Und wenn Godefroi auch meinte, John nehme die Sache zu ernst, so hatte er doch geduldig zugehört und kluge Hinweise gegeben, wie er
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