Sarum
Fässer mit Kalk und Feuerstein nach oben, die in den Leerraum zwischen Innen- und Außenmauer geschüttet wurden.
»Das geht nicht nur schneller als das Hochführen einer festen Steinmauer«, erläuterte Bartholomew, »sondern der Kalkbruch bindet mit dem Stein; es ist das Solideste, was es gibt.«
Osmund war von einfachem Gemüt, und je mehr er lernte, desto deutlicher wurde ihm seine eigene Unwissenheit und die Wichtigkeit der Männer, die die große Kathedrale entworfen und geplant hatten. Oft betete er am Ende des Tages in der kleinen Kapelle neben dem Modell leise: »Heilige Jungfrau Maria, mache mich würdig, ein Steinmetz zu werden.«
Es war beinahe Mitternacht. Auf dem Marktplatz waren die bunten Planen ordentlich zusammengefaltet; die Schaf- und Viehzäune standen leer, die Straßen lagen still da.
Nicht ganz allerdings, denn neben dem Käsemarkt, wo die Tresen regelmäßig aufgereiht an der Wand der behäbigen Pfarrkirche St. Thomas gestapelt waren, schwankte eine Gestalt in einem grauen Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, durch die Dunkelheit. Es gab keine Beleuchtung außer dem Sternenlicht, aber das war sehr hell. An der Westseite des Marktes löste sich die Gestalt aus dem Schatten und ging mitten auf der Straße, die an der Blauer-Eber-Zeile vorbei nach Norden führte. Peter Shockley war betrunken. Langsam ging er durch die Castle Street.
Erst vor dem großen abweisenden Haus des Aulnagers Le Portier machte er halt, nahm einen Stein von der Straße auf und warf ihn gegen das oberste Fenster der bleichen schmucklosen Fassade, wo Alicia schlief. Es war die letzte Nacht im Haus ihres Vaters.
Beim dritten Versuch endlich traf Peter das Fenster; gleich darauf öffnete es sich, und Alicia spähte hinunter auf die sternhelle Straße. Er schob seine Kapuze zurück und sah, daß sie das Haar länger als früher trug, bis auf die Schultern. Darunter sah er ihr weißes Nachthemd. Es war ihm, als spürte er selbst auf die Entfernung die Wärme, ja den Duft ihres Körpers. »Alicia!«
Sie seufzte. Es war sein dritter Besuch in dieser Woche. »Geh doch nach Hause, Peter. Ich kann dich nicht sehen.«
Er rührte sich nicht vom Fleck. »Komm herunter«, flüsterte er drängend. »Nein!«
Dreimal hatte er sie schon angefleht, mit ihm zu fliehen. Es war absurd. Sie fand ihn allmählich lächerlich. Und gerade weil sie auf sich ärgerlich war, daß sie ihrem Vater nachgegeben hatte, weil sie wußte, daß es eigentlich sinnlos war, und weil sie sich einreden wollte, daß sie mit dem freundlichen Ritter mittleren Alters aus Winchester glücklich werden würde, der eine so gute Partie für sie war – deshalb behandelte sie Peter so von oben herab. »Geh und vergiß mich!« scheuchte sie ihn weg. »Wirst du mich denn vergessen?« rief er laut.
»Das habe ich schon getan. Ich bin in Geoffrey de Whiteheath verliebt.« Sie zog den Kopf zurück, und das Fenster schloß sich. Er bewegte sich nicht von der Stelle, warf den Stein wieder und wieder hinauf, doch Alicia ließ sich nicht mehr blicken. Nun warf er den Stein heftiger, bis er schließlich Glas splittern hörte. Trotzdem blieb er stehen. Gleich darauf öffnete sich die Haustür, und die hohe schmale Gestalt des Alan Le Portier schritt mit einem Stock in der Hand heraus. »Geh sofort nach Hause, junger Mann!« rief er ärgerlich. »Morgen wirst du mir das Fenster bezahlen.«
»Ihr habt sie verkauft«, schrie Peter, »Ihr habt sie an einen Ritter verkauft!«
Le Portier richtete sich starr auf. Der Vorwurf traf absolut nicht zu, doch er war wütend, daß man ihn derart beleidigte. »Weg mit dir!« schrie der Aulnager.
Peter fühlte Zorn in sich aufsteigen. Er schwankte auf Le Portier zu und war drauf und dran, ihm einen Schlag zu versetzen, als er Alicia mit einer Kerze in der Hand hinter ihrem Vater auftauchen sah. Sie musterte ihn voller Verachtung.
»Geh weg, du Kind«, sagte sie kühl und trat zurück ins Haus. Er starrte die beiden an und machte sich dann achselzuckend auf den Heimweg, wobei er aus jedem Fenster beobachtet wurde. Zu seinem großen Mißgeschick war der Vorfall auch von einem unerwarteten Zeugen aus dem Dunkel heraus verfolgt worden.
William atte Brigge hatte sich bis spätnachts bei der Herberge am Nordtor herumgetrieben und war gerade auf dem Weg in die Stadt, als er den jungen Mann die Straße entlangschlendern sah. Wie er den jungen Shockley erkannte, zeigte sich sogleich ein hämisches Grinsen auf seinen Lippen. Der Junge
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