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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sich bereits lichtenden Haarschopf, der ihm ins Gesicht fiel, und einem großen nässenden Geschwür rechts am Hals. Er begrüßte Osmund nicht sehr überschwenglich, sagte ihm jedoch, daß er in Zukunft neben ihm arbeiten und die Grundbegriffe seines Handwerks erlernen könne. Am nächsten Tag stellte auch Robert, der Meistersteinmetz, ihm einige persönliche Fragen und nickte ihm kurz zu. »Lerne etwas von Bartholomew«, forderte er ihn auf.
    Osmund hatte noch so viel zu lernen. Sein mürrischer Mentor zeigte ihm, wie man mit dem Meißel umging, und erklärte ihm die Eigenschaften der verschiedenen Gesteinsarten. Er zeigte ihm auch die zahlreichen Arbeitsgänge, die bei dem Bauwerk vonnöten waren; für jeden gab es eine eigene Werkstatt.
    Es war eine Welt voller Wunder. Osmund sah das große Zeichenbrett des Obersteinmetzen, der die Entwürfe für jeden Gebäudeabschnitt mit Zirkel und Winkelmesser auf eine Leinwand übertrug. Er bekam Einblick in die Arbeit der Zimmerleute und Bautischler, die nicht nur die Dachträger, sondern auch das Gerüst fertigten. Er sah die riesige Sägegrube und die Holzstapel aus dem nahe gelegenen Wald von Clarendon.
    Doch am wichtigsten war der hölzerne Anbau, der sich an der gesamten Südseite des Langhauses hinzog: die Bauhütte der Steinmetzen. Es gab dort alle Arten von Facharbeitern: Steinhauer, Bildhauer, Männer, die die Steine ineinanderfügten, andere, die das Maßwerk einpaßten; es gab Schleifer, die den Marmor polierten, Werkbank-Steinmetzen an ihren Tischen, die den Hunderten von Kapitellen und Blattknäufen Form gaben, die für den Zusammenhalt und den Schmuck des Mauerwerks des mächtigen Baukörpers notwendig waren. All dies mußte ein Steinmetz bis ins letzte verstehen, wenn er ein Meister seines Handwerks werden wollte. Osmund war fasziniert.
    »Jeder Stein hat eine Maserung, genau wie Holz«, erklärte Bartholomew. »Wenn du ihn schneiden willst, mußt du das wissen. Beim Einfügen des Steines in eine Mauer mußt du beachten, wie Wind und Regen auf die Maserung treffen, dann hält er der Witterung besser stand.« Osmund wußte, daß er einen Teil seiner Lehrzeit im großen Steinbruch von Chilmark verbringen würde, wo der Stein roh behauen wurde, bevor man ihn nach Salisbury brachte.
    Im August wurde er zum erstenmal dorthin geschickt, und eines Tages machte er sich in der Morgendämmerung aufgeregt auf den Weg, der an Wilton vorbeiführte.
    Er sah die Unterkünfte der Bergleute und der Steinhauer, die die Vorarbeiten leisteten. Er sah das große Gebäude, wo die Steine geschnitten und auf der daneben liegenden Plattform auf Karren geladen wurden. Doch wo war das Bergwerk? Er blickte sich ungeduldig um. Nachdem er gesagt hatte, wer er war, deutete ein freundlicher junger Bergmann auf einen kleinen Höhleneingang zwischen den Bäumen. »Dort ist es.«
    Der Eingang sah winzig aus, doch als der junge Mann eine Fackel nahm und ihn hineinführte, konnte Osmund sich vor Verwunderung kaum fassen.
    Dahinter öffnete sich eine lange Galerie, doch dann begann, tiefer im Fels, eine Folge von Hallen, Tunnels und Hohlräumen nach jeder Richtung hin, rechts und links, oben und weit hinten – ein Labyrinth. »Also«, rief Osmund, »das ist ja wie in einer unterirdischen Kathedrale!«
    »Das ist der Bauch der Kathedrale«, bemerkte der junge Mann an seiner Seite. »Und wir haben immer noch genügend Steine hier unten für eine zweite Kirche.«
    Osmund verbrachte das erstemal zwei Wochen im Steinbruch, und den Rückweg durfte er mit den Fuhrleuten machen, die nach Salisbury unterwegs waren.
    Einen Monat später reiste Osmund ein zweites Mal dorthin, diesmal auf dem Fluß bis zum Hafen. Das Küstenstädtchen konnte sich jetzt nicht nur eines kleinen steinernen Kastells auf einer Anhöhe am Fluß, sondern auch einer schönen normannischen Prioratskirche rühmen, deren Name, Christchurch, im allgemeinen anstelle der früheren sächsischen Bezeichnung Twyneham nun auch für die Stadt gebräuchlich war. Hier sah Osmund, als er hinüberblickte zu der einsamen Landspitze mit ihrem niedrigen schützenden Hügel und seinen verlassenen Erdwällen, die großen hölzernen Lastkähne mit ihrer kostbaren Marmorladung aus den an der Küste liegenden westlichen Steinbrüchen in das stille Hafengewässer einfahren und ihren Weg den Fluß Avon aufwärts nach Sarum nehmen.
    Es gab immer so viel Neues zu lernen. Während die Wände der Kathedrale langsam wuchsen, schafften die Arbeiter große

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