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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Regel. Margaret haßte sie. Schlimmer noch: Sie benutzte ihr altes Gebetbuch jeden Sonntag in der Intimität ihres Hauses in Samuels Beisein. Obadiah hatte das schon immer vermutet, aber erst vergangene Woche hatte Samuel eine unbedachte Bemerkung fallenlassen, so daß Obadiah Bescheid wußte. Und dem wollte er ein Ende machen. Doch Margaret blieb eisern: »Ich habe das Gebetbuch lieber als deine langweiligen Anweisungen.«
    »Und du benutzt es in Gegenwart von Samuel?«
    »Ja.«
    Obadiah seufzte. Mochte seine Schwester weiterhin an dem Gebetbuch festhalten; es war auf jeden Fall unrecht, den Jungen mit einem Buch zu erziehen, das von den Behörden mit dem Bann belegt worden war. Mit einem Seitenblick auf Samuel sagte er erbost: »Du dumme, böse Frau!« Margaret aber lachte nur ärgerlich auf und riß das Buch an sich. »Obadiah«, schrie sie höhnisch, »Obadiah der Beißer!« Diesen Spitznamen hatte Nathaniel seinem Bruder gegeben, als dieser ihn einst in die Hand gebissen hatte. Seit zwanzig Jahren hatte Obadiah ihn nicht mehr gehört und inzwischen vergessen. Doch nun wurden der Schmerz und die Demütigung durch den brüderlichen Hohn plötzlich wieder lebendig. Einen Augenblick lang war er nicht mehr der geachtete Prediger, sondern wieder der unglückliche Junge. Das war ein Angriff auf seine Würde.
    Margaret hatte das vor dem Jungen zu ihm gesagt! Samuel starrte Margaret entgeistert an. Er bemerkte nicht den giftigen Blick, den Obadiah ihr zuwarf, bevor er wieder Herr der Lage war. Wäre Margaret klug gewesen, hätte sie sich entschuldigt. Statt dessen äußerte sie in ihrem Zorn über den Angriff auf ihr Gebetbuch: »Geh nur und predige in den Kirchen. Mich täuschst du nicht. Du bist ein Beißer von Natur aus, und du bleibst das auch.« Dann wandte sie sich Samuel zu: »Hast du nicht gewußt, daß dein Bruder beißt? Er schnappt dir die Hand ab, ehe du dich’s versiehst.«
    Samuel blickte ungläubig von einem zum anderen. Wie konnte Margaret den Prediger nur so behandeln? Schuldete sie ihm denn keine Achtung? Sosehr er sie auch liebte – sie machte offenbar einen Fehler. Feierlich ging er auf Margaret zu, nahm ihr das Buch aus der Hand und warf es ins Feuer.
    »Wir sollten nie mehr in diesem Buch lesen, Schwester«, sagte er ernst und verließ das Zimmer. Margaret verschlug es die Sprache.
    Doch wenn Samuel Obadiahs Lächeln gesehen hätte, wäre er noch überraschter gewesen; denn auf dem Gesicht des Bruders, den nie jemand geliebt hatte, lag das verzerrte Lächeln der Rache. Bald nach diesem Zwischenfall sah er Obadiah bei einem aufregenden Ereignis wieder, dem Hexenprozeß gegen Ann Bodenham. Es war eine sensationelle Angelegenheit, und weil Samuel so inständig bat, ließ Margaret, die selbst nicht dabeisein wollte, ihn schließlich mit Obadiah, Sir Henry Forest und dessen beiden Kindern hingehen. Der Gerichtssaal war gesteckt voll. Anns Verbrechen waren allerdings furchtbar: In ihrer Jugend war sie nicht nur dem Pfaffentum verfallen, sie hatte auch schlimme, unheilvolle Zeiten vorausgesagt. Es war ein Glück für Sarum, so meinte jedenfalls Samuel, daß der große Matthew Hopkins, der oberste Hexenrichter, zu dieser Zeit zufällig des Weges kam, sonst wäre die Frau wohl nie entdeckt worden. Sobald er sie verhörte, kam die schreckliche Wahrheit ans Licht. Jahre zuvor, so erfuhr das Gericht, hatte sie im Dienst des berüchtigten Doktor Lambe gestanden, der im Jahre 1640 vom Londoner Pöbel in Stücke gerissen wurde, als man herausfand, daß er ein Zauberer war.
    Hopkins selbst war während des Prozesses anwesend, und Forest zeigte ihn Samuel: ein unauffälliger, traurig aussehender Mann. Die Enthüllungen über Lambe waren nichts im Vergleich zu dem, was folgte. Als nächstes wurde berichtet, daß, als der Bedienstete eines Herrn auf dem Kathedralgelände an Anns Tür klopfte, fünf Geister erschienen, als zerlumpte Buben verkleidet, und Ann verwandelte sich vor seinen Augen in eine Katze!
    »Ich sprach mit dem Bediensteten«, murmelte Obadiah. »Es ist wahr.«
    »Margaret meint, der Prozeß sei grober Unsinn«, sagte Samuel. »Sie irrt«, entgegnete Obadiah, »das Böse muß ausgerottet werden.« Und Sir Henry Forest fügte mit grimmigem Lächeln hinzu: »Unsinn hin oder her, als Magistrat sage ich euch, daß man sie schuldig sprechen wird.«
    So geschah es. Samuel war wütend, weil Margaret ihm nicht erlaubte, am nächsten Tag der Hinrichtung in Fisherton zuzusehen. Wichtiger noch als der Prozeß

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