Sarum
war für Samuel Shockley das nachfolgende Gespräch mit Obadiah. Dieser nahm ihn beiseite und sagte: »Ich glaube, Samuel, du möchtest gern Gottes Werk tun. Hast du schon an einen Beruf gedacht?« Nein, das hatte er nicht.
»Wenn du den Willen hast, so glaube ich, könntest du ein guter Gelehrter werden. Das öffnet dir viele Türen. Möchtest du das?« Samuel errötete vor Freude darüber, daß Obadiah eine so gute Meinung von ihm hatte.
»Dann mußt du eine Zeitlang bei mir in Salisbury wohnen«, sagte der Prediger. »Deine Ausbildung ist vernachlässigt worden.« Nun standen Bruder und Schwester einander wieder gegenüber, nachdem sie sich seit dem Zwischenfall mit dem Gebetbuch nicht mehr gesehen hatten.
»Der Junge ist intelligent. Er könnte ein guter Gelehrter werden.«
»Ich habe ihn alles Wissenswerte gelehrt.«
»Nichts hast du ihn gelehrt.«
Margaret sah Obadiah bitterböse an. Im Grunde wußte sie, daß er recht hatte, aber sie wollte es nicht zugeben; sie wollte nur eines: den Jungen für sich behalten.
Sie hatte versucht, das Verrinnen der Zeit nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie war jetzt eine Frau über dreißig, weit über das heiratsfähige Alter hinaus. Sie hatte den Vater und zwei Brüder verloren und das Kind in all den schwierigen Jahren aufgezogen, als wäre es ihr eigenes. Sie war sich darüber klar, daß die Leute sich manchmal über sie lustig machten. Die Heldentaten der kaum zwanzigjährigen Frau, die verwegene Verteidigung ihres Hofes – das alles war lange her. Ihre geradlinige Art wurde nun für exzentrisch gehalten. Sie hatte eine Lieblingskatze; sie fütterte jeden Morgen die Vögel vor ihrer Tür und gab ihnen Namen; sie sprach mit den Kühen auf der Weide – sie wurde allmählich eine alte Jungfer.
Obadiah wußte das natürlich. Er sagte nie etwas, blieb reserviert wie gewohnt. Doch oft konnte sie in seinen Augen einen leisen Spott entdecken, der sie schmerzte. Aber noch hatte sie Samuel. Als Obadiah sie am Michaelitag besuchte, kam er sofort zur Sache: »Es ist Zeit, daß Samuel in Salisbury zur Schule geht«, eröffnete er ihr. »Er wohnt dann bei mir.«
Sie begriff. Samuel sollte nicht nur Schulunterricht, sondern eine streng presbyterianische Erziehung bekommen, fern von ihrem anglikanischen Einfluß und dem Gebetbuch. Wäre dieser Vorschlag von irgend jemandem sonst gemacht worden, hätte sie vielleicht zugestimmt. Nun aber antwortete sie: »Das lasse ich nicht zu.«
Obadiahs Miene war unbewegt. Sein Haar war längst eisengrau, und er sah sehr streng aus in seinem einfachen, grauen puritanischen Gewand. »Ich kann dich zwingen. Ich bin jetzt das Familienoberhaupt.«
»Versuch es doch«, fauchte sie. »Willst du das Kind entführen?« Er schwieg eine Weile und sah sie nachdenklich an. »Wir sprechen noch einmal darüber.«
Eine Woche später kam er erneut. »Weigerst du dich immer noch?« Margaret hatte sich die Sache sorgfältig überlegt. Sie war sich auch darüber im klaren, daß der Junge von der Idee begeistert war. Und auch wenn sie versuchte, ihn zurückzuhalten, würde sie ihn sicherlich früher oder später verlieren. Doch sie war auch überzeugt davon, daß sie Samuel von Obadiah fernhalten mußte. Es war nicht nur Eifersucht, nicht nur, daß sie Obadiahs strenge puritanische Art haßte. Da war noch etwas, das sie von jeher gefühlt hatte. Vielleicht wußte Obadiah es selbst kaum: Er war eiskalt. Mitunter konnte er wohl leidenschaftlichen Zorn zeigen, wenn man ihn verspottete oder sich gegen ihn stellte, doch das war seine einzige Gefühlsregung.
Er denkt nur an sich, überlegte sie. Wenn er den Jungen zu sich nimmt, wird er ihn zu seinem Bediensteten machen und sonst nichts. Er wird ihn mit seinem Wissen beeindrucken, aber Samuel wird wie in einem Gefängnis leben. Sie würde es nicht zulassen, daß er dem Jungen sein Herz wegnahm.
Als Obadiah nun wieder auftauchte, rief sie: »Nein, er soll dir niemals gehören, Obadiah, in alle Ewigkeit nicht!«
»Ich kann ihn beanspruchen«, warnte er sie.
»Das kannst du nicht, und du wirst ihn nie wiedersehen. Wenn du noch einmal in die Nähe des Hofes kommst, lasse ich die Hunde auf dich hetzen.«
Er wurde aschgrau vor Zorn. »Warum bist du nur eine so eigensinnige, dumme Person?«
»Ich kenne dich«, sagte sie ehrlich, »und ich weiß, daß du im Innersten böse bist.«
Von diesem Tag an begann eine merkwürdige Phase in Samuels Leben: Es wurde ihm untersagt, Obadiah zu besuchen. Wenn er nach Salisbury ging,
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