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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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mit dem Pamphlet des großen John Milton. »Lies es sorgfältig«, hatte Obadiah ihm in seiner gewohnt ernsten Art aufgetragen, »niemand hat besser als Milton dargelegt, warum der Aberglaube der Prälaten und der Papisten abgeschafft werden muß.« Keiner in ganz Sarum schien Obadiah für einen Teufel zu halten außer Margaret – im Gegenteil! Er zählte damals zu den wichtigen Persönlichkeiten. Was war denn von ihm zu befürchten? Für Obadiah war die Welt besser, seit die Presbyterianer herrschten. Der König war nach all seinen Intrigen hingerichtet worden. Zwei Männer aus Wiltshire, einer davon Edmund Ludlow, hatten das Todesurteil unterzeichnet. Jetzt hatte der Protektor Cromwell den Vorsitz über ein presbyterianisches Parlament.
    Kein anderer Ort war so durch und durch presbyterianisch wie Sarum. Die Geistlichkeit hatte die Kathedrale verlassen. Das gesamte prächtige Aufgebot kirchlicher Würdenträger, das die Diözese von Sarum sechs Jahrhunderte lang regiert hatte – Bischof, Dekan, Erzdiakone, Chorherren in Begleitung der Choralvikare und Chorsänger –, war durch das Parlament entfernt worden. Der Stadtrat herrschte jetzt über das Kathedralgelände und hatte es wieder zugänglich gemacht. Als Cromwell sich, um die englischen Handelsinteressen gegen die ständige arrogante Konkurrenz der Holländer zu verteidigen, gezwungen sah, einen kurzen Krieg auch gegen die Niederlande zu führen, waren in ebenjenem Jahr eine Gruppe holländischer Gefangener rein zufällig wochenlang im Kreuzgang der Kathedrale zurückgelassen worden. »Die haben dort fürchterlich gehaust«, meinte Margaret empört. Ein Teil des Geländes war die reinste Schutthalde; an einer Stelle hatten Metzger ein kleines Schlachthaus errichtet und verkauften dort Fleisch. Aus dem Bischofspalast war eine Mietskaserne geworden, und er diente außerdem als Gasthof.
    Obadiah hatte ein Haus auf dem Gelände, wo er ein einfaches Dasein führte.
    Er kam nicht oft auf den Hof, doch ließ er Samuel wissen, daß er ihm stets willkommen sei; und Samuel war stolz, daß sein Bruder ein so wichtiger Mann in der Stadt war. Der Prediger zeigte echtes Interesse an dem Jungen, denn er merkte, daß Samuel eine rasche Auffassungsgabe besaß.
    Außerdem wies er Margaret ebenso unauffällig wie rücksichtslos darauf hin, daß er, Obadiah, nun praktisch das Familienoberhaupt war. Das konnte Margaret allerdings nicht leugnen.
    Wenn nur Edmund bei ihr gewesen wäre! Aber er hatte sie verlassen. Nach dem Besuch des jungen Moody und Edmunds seltsamem Ausbruch spürte Samuel, daß eine Art Wasserscheide überquert worden war. Margaret und Edmund waren einander nähergekommen, und im Haus herrschte eine Atmosphäre des Friedens und der Zusammengehörigkeit. Edmund wurde Samuels erster Lehrer und unterwies ihn im Lesen und Schreiben und in den Grundzügen der lateinischen Grammatik.
    Und doch war nach einer gewissen Zeit eine Art Resignation zu spüren. Edmund war zwar noch das Familienoberhaupt, aber er überließ die Leitung des Hofes gern Margaret und Jacob Godfrey. Er wurde immer schmaler mit den Jahren. Samuel erinnerte sich, daß er meist allein irgendwo saß oder spazierenging, nicht unglücklich, doch stets in Gedanken.
    Im Frühling 1649, gleich nach der Hinrichtung König Karls, ging Edmund fort.
    Immer wenn Samuel seine Schwester fragte, wo Edmund sei, antwortete sie nur: »In der Nähe von London.« Und wenn er wissen wollte, wann der Bruder zurückkomme, war die Antwort: »Ich weiß es nicht.« Edmund kam nicht zurück, aber in einem Frühjahr besuchten sie ihn. Es war eine lange Reise bis kurz vor London, doch als der kleine Wagen schließlich den St. George’s Hill hinaufholperte, sah Samuel zu seiner Verwunderung, daß ihr Ziel ein weitläufiger Gutshof war. Noch mehr staunte er, als er inmitten schlecht gekleideter Arbeiter, die sich mühsam den Hügel zum Haus hinaufschleppten, Edmund entdeckte. »Warum arbeitet er mit diesen Männern?« fragte er. »Weil er es so will«, antwortete Margaret. »Dein Bruder Edmund ist ein Digger geworden.« Samuel wußte nicht, was das war.
    Von all den seltsamen Gruppen und Sekten, die der Gärungsprozeß des Bürgerkrieges hervorgebracht hatte, gehörten die Diggers sicher zu den merkwürdigsten, doch wie viele Extremisten waren sie eine völlig logische Antwort auf das Vorangegangene. Während die Levellers Stimmrecht für alle freien Männer mit Besitz forderten, glaubten die Diggers, daß alle Menschen frei

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