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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Nie zuvor hatte er einen Juden gesehen. Erstaunlicherweise ließ Oliver Cromwell die Juden wieder ins Land, nachdem sie England bis auf wenige Ausnahmen dreihundertsechzig Jahre zuvor hatten verlassen müssen. Und dies war tatsächlich einer der wenigen Einwände gegen den großen Mann, die Obadiah hatte: Cromwell war, als Soldat, den religiösen Sekten gegenüber zu tolerant. In letzter Zeit gab es immer mehr davon – Baptisten, Anabaptisten, dann diese neuen Anhänger des Predigers Fox, die man Quäker nannte und die auf ein ganz persönliches göttliches Recht pochten. Ein erleuchteter, doch trotzdem teuflischer Prediger namens Penn hatte die Unverfrorenheit, diesen Unsinn in Wiltshire zu predigen. Es war untragbar, daß nun auch noch die Juden ins Land gelassen wurden.
    Viele von ihnen kamen aus Holland, wohin sie während der Zeit der Judenverfolgung in Spanien geflohen waren. Sie durften zwar nicht englische Staatsbürger werden, hatten jedoch die Erlaubnis, unauffällig Handel zu treiben.
    Aaron war kurz zuvor angekommen. Offensichtlich kannten ihn ein paar der Gefangenen bereits. Er brachte Nachricht von ihren Familien, brachte Geld und erledigte natürlich allerlei Geschäfte, um die die Gefangenen ihn baten.
    Er blieb eine halbe Stunde – ein älterer kahlköpfiger Mann, der seine Umgebung mit unverhohlener Belustigung betrachtete. Danach kehrte Aaron nach Wilton zurück, wo er wohnte.
    Eine Woche nachdem sie Obadiah ihr letztes Nein mitgeteilt hatte, suchte Margaret Sir Henry Forest auf. Sie sprach mit niemandem darüber.
    Forest war überrascht von dem, was sie ihm zu sagen hatte: »Ihr wollt also, daß ich den Jungen zu mir nehme, und zwar als mein Mündel?« Sie nickte.
    »Und Ihr wollt, daß ich ihn mit meinen Kindern gemeinsam erziehen lasse?«
    »Genau darum geht es mir. Sie haben etwa das gleiche Alter. Ich habe gehört, daß Ihr einen guten Lehrer für sie habt. Samuel soll die beste Erziehung erhalten.«
    »Der Lehrer ist erstklassig. Ein guter Mann von der Universität.« Er hielt einen Augenblick inne, ehe er fragte: »Glaubt Ihr, daß ich den Jungen von Obadiah fernhalten kann?«
    »Natürlich. Er würde nicht wagen, Euch nahezutreten. Und er kann kaum etwas dagegen einwenden, daß sein Bruder die gleiche Erziehung bekommt wie die Kinder von Sir Henry Forest.« Zu diesem Entschluß also war Margaret Shockley gelangt. Sie glaubte nicht, daß sie den Jungen noch länger halten könnte. Sie war sich ja nicht einmal sicher, ob sie Obadiah auf die Dauer abweisen könnte. Bei Forest jedoch würde Samuel weiterhin in Avonsford bleiben – außerhalb von Obadiahs Reichweite. »Wollt Ihr das tun?«
    »Ich mag Euren Jungen. Er hat Talent. Er sollte wirklich eine gute Erziehung erhalten«, sagte Sir Henry ganz offen. Dann lächelte er. »Ihr könnt Euch den Preis für meine Einwilligung wohl denken?«
    Sie nickte. Natürlich, das war die Sache wert. Die Bedingungen waren einfach: Für die Übernahme der gesamten Erziehung des Samuel Shockley, eingeschlossen die Studien in Oxford und, wenn er es wünschte, auf der Advokatenschule, gingen Margarets Rieselwiesen in den Besitz der Familie Forest über mit der Auflage, daß Margaret die Leibpacht der Wiesen für ein nominelles Pachtgeld erhielt. Das war für beide Seiten ein vortreffliches Abkommen. Es sollte allerdings geheim bleiben, bis die Urkunde aufgesetzt und besiegelt war.
    Der Jude Aaron reiste gern früh am Tag, weil er im allgemeinen schlecht schlief und schon vor Tagesanbruch aufwachte. Er hatte auch längst die Erfahrung gemacht, daß die wohltuende Atmosphäre der Morgenfrühe seinen Geist besonders beschwingte. Selbst jetzt, in seiner mittleren Lebensphase, fühlte er dabei noch immer einen freudigen Schauer. Er lenkte seinen kleinen Wagen durchs Avon-Tal, als eben das Licht über die Hügelkämme kam. Als er Avonsford erreichte, war es schon hell, aber es war noch niemand zu sehen. Gleich nach dem Herrenhaus hielt er an und sah überrascht nach oben, wo am Abhang ein kleiner hölzerner Schafstall stand, der offenbar zum Herrenhaus gehörte: Warum in aller Welt kam der Prediger Obadiah Shockley verstohlen herausgeschlichen? Was hatte er im Schafstall zu suchen?
    Shockley bemerkte ihn nicht. Rasch schritt er den Abhang hinauf, dem Hügelkamm zu.
    Am Nachmittag desselben Tages, Samuel und Jacob Godfrey waren gerade auf der Anhöhe, bekam Margaret unerwarteten Besuch. Der Mann stellte sich als Daniel Johnson vor. Er war ruhig und seriös und

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