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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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blickte sehr ernst drein, »… geistige Unausgewogenheit hindeutet. Ich habe Angst um ihn, Doktor. Ich habe noch mehr Angst um seine Frau und seine Kinder.« Er ließ seine blasse Hand auf einer großen Konkordanz auf dem Schreibtisch ruhen. »Ich war ihm gegenüber nie kleinlich, und das sollte er bedenken.« Barnikel senkte den Kopf. Es war auf alle Fälle undenkbar, daß Porteus zu irgend jemandem großzügig sein könnte, ohne daß der Betreffende sich dieser Tatsache unverzüglich bewußt werden mußte. »Und doch wird, so fürchte ich, mein kluger Rat nicht angenommen.«
    »Aha.«
    »Ich möchte, daß Ihr heute mit uns zu Abend speist, Doktor, ihn dabei beobachtet und Eure eigenen Schlüsse zieht. Und da meine Stimme nichts gilt, sprecht Ihr mit ihm, so wie Ihr es für richtig haltet.« Barnikel verspürte nicht die geringste Lust auf derlei Komplotte, doch er wußte nicht, wie er ablehnen konnte.
    Zunächst mußte für jemanden, der die empfindsame Natur des Kanonikus nicht kannte, dies alles sehr einleuchtend klingen. Ralph Shockley kam fröhlich nach Hause. Sein wirres, strohblondes Haar fiel ihm in die Stirn. Er war wie ein Gentleman in engsitzende, helle Hosen und Gehrock gekleidet und trug eine Krawatte. Aber die Hosen hatten einen kleinen Riß am Knie, der Rock war mit Kalkstaub bedeckt, und die Krawatte, falls sie je ordentlich gebunden worden war, hatte sich längst selbständig gemacht. Ralph entging diese Unordentlichkeit völlig, Porteus dagegen nicht, der ihn trotzdem so leutselig wie möglich begrüßte.
    Ralph ging hinauf zu seinen beiden Kindern und blieb eine Viertelstunde dort, obwohl man ihn zum Essen gerufen hatte; dann erschien er, immer noch bester Laune. Er hatte sich nicht umgekleidet. Als sie zu Tisch gingen, trat Agnes neben Doktor Barnikel und flüsterte ihm zu: »Ich bitte Euch inständig, sorgt für Frieden zwischen den beiden.«
    »Ist es so schlimm?«
    »Es wurde in letzter Zeit immer schlimmer. Ich fürchte täglich eine Explosion.« Sie berührte ihn leicht am Arm. »Helft uns, Doktor«, murmelte sie und sah ihn flehend an.
    Er wäre eigenhändig gegen Bonapartes Armeen angetreten, wenn sie es von ihm verlangt hätte.
    Der Fall Ralph Shockleys lag klar zutage. Er war um die zwanzig, als die Französische Revolution über Europa hereinbrach; wie viele junge Männer wurde er von Idealen mitgerissen, die er für das Tor zu einer neuen Welt hielt. Barnikel dachte an erregte Äußerungen des jungen Mannes noch nach Jahren. Seither wußte er, daß Ralph gelegentlich reformistische Ansichten von sich gab wie die Beseitigung der Rotten Boroughs – Wahlkreise, deren Bevölkerung von einem einzigen Grundbesitzer abhängig war – oder die Forderung von religiöser Toleranz, Ideen, die letzten Endes nicht so entsetzlich waren, selbst wenn sie Kanonikus Porteus bannwürdig erschienen.
    Ralph Shockleys Fehler lag jedoch in seinem Urteilsvermögen. Angesichts des anmaßenden Konservatismus seines Schwagers konnte er der Versuchung nicht widerstehen, ihn mit seinen reformistischen Ansichten zu necken, und er trieb das so lange, bis der Kanonikus vor Ärger erbleichte. Das war nicht nur kindisch, es war auch ein Fehler, und zwar ein größerer, als er vorerst ahnte.
    Als Ralph nun Barnikels ansichtig wurde, begrüßte er ihn herzlich. Während man am Tisch Platz nahm, war kein Anzeichen einer Spannung erkennbar.
    Wie üblich fing Ralph sogleich an zu erzählen. »Ich habe unseren Verwandten Mason besucht«, berichtete er.
    Der arme Porteus blinzelte. Nicht deshalb, weil Daniel Mason wie sein Vater Benjamin ein Anhänger Wesleys war – lieber noch der als einer dieser minderen Sekten wie die Baptisten oder die Quäker; nein deshalb, weil Daniel Mason ein Kaufmann war und weil der Bruder seiner Frau unzutreffenderweise von ihm als von einem Verwandten sprach. »Im Grunde ist er nicht mit dir verwandt«, bemerkte er kühl. »Nun, mein Bruder Adam heiratete Mary Mason«, erwiderte Ralph, »aber selbst wenn er nicht mein Verwandter ist, hätte ich gern, daß er es wäre.«
    Porteus litt still vor sich hin.
    »Daniel Mason sagt, daß das Tuchgeschäft nie besser gelaufen ist«, fuhr Ralph aufgeräumt fort. »Das machen Bonapartes Kriege, wißt Ihr, Doktor. Durch die Spaltung auf dem Kontinent haben unsere Tuchmacher die Weltmärkte für sich.«
    Der zurückgehende Tuchhandel in Salisbury hatte durch die Abspaltung des europäischen Konkurrenzhandels einen zeitweiligen Aufschwung genommen – wenn

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