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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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war ein Vorurteil, überlegte er kleinlaut.
    Das Haus von Ralph und Agnes in der New Street wurde renoviert, und so hatten Frances und ihr Mann sie eingeladen, einen Monat, bis zur Fertigstellung der Reparaturen, bei ihnen auf dem Kathedralgelände zu wohnen. Ralph hatte darauf bestanden, die Einladung anzunehmen. Barnikel hatte eine bestimmte Vorahnung – er war sicher, daß Porteus ihn deswegen zu sich gebeten hatte. Nun machte er artige Konversation.
    Warum verspürte er immer, wenn er Agnes sah, den Wunsch, sie zu beschützen? Woher kam während ihrer Unterhaltung dieses wunderbare schweigende Einverständnis, diese Wortlosigkeit, bei der er sich danach sehnte, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen? Er begegnete ihr häufig in dieser Umgebung. Und die Leidenschaft, die zu unterdrücken er sich so sehr bemühte, wurde immer größer.
    Zehn lange Minuten vergingen, ehe der Kanonikus nach Hause kam. »Ach, Doktor«, er verbeugte sich gemessen, »wie außerordentlich freundlich, daß Ihr gekommen seid. Unterhalten wir uns in meinem Arbeitszimmer.« Barnikel erhob sich.
    Nicodemus Porteus war eine Stütze der Gemeinde – rechtschaffen und gründlich. Sein dünnes, an den Schläfen ergrautes Haar war oben kurz geschnitten, lockte sich jedoch an den Seiten, und es war höchst bedauerlich, daß etwa fünfzehn Jahre zuvor die Herren aufgehört hatten, Perücken zu tragen oder ihr Haar zu pudern: Porteus’ schmaler, hoher Schädel war wie geschaffen für eine Perücke, und sein Haar wäre gepudert besser zur Wirkung gekommen. Doch seit der Französischen Revolution war beides aus der Mode, und Porteus war in dieser Hinsicht sozusagen sich selbst überlassen. Seine Erscheinung war so kahl wie ein Baum im Winter. Seine schwarzen Seidenstrümpfe und die schwarzen Kniehosen enthielten die dünnsten Beine auf dem ganzen Kathedralgelände. Sein schwarzer Priesterrock war bis oben, wo die beiden gestärkten weißen Streifen seiner klerikalen Halsschleife sichtbar wurden, zugeknöpft.
    Er war ein umsichtiger Mann. Bald nachdem er und Frances geheiratet hatten, wurde ihm das hübsche Haus auf dem Kathedralgelände vom Dekan und dem Domkapitel angeboten. Er verbrachte einen ganzen Frühlingsvormittag mit einer gründlichen Untersuchung, ob im Fall eines möglichen Herabstürzens des Turmhelms das Haus in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.
    »In dieser Hinsicht besteht keine Gefahr«, hatte er Frances anschließend berichtet und das Haus genommen.
    Er war auch ein wissensdurstiger Mann. Er fand nämlich heraus, daß der Name Porters, den sein Vater, der Tuchhersteller aus dem Norden, führte, sicher eine Entstellung des alten Namens Porteus war. So wissensdurstig war er, daß er diese Entdeckung bereits im Alter von neunzehn Jahren machte. Aus Achtung vor der Tradition änderte er seinen Namen unverzüglich; außerdem wurde damit eine Distanz zwischen der Tuchfabrik, die leider zum Durchschnittsgewerbe zählte, und der von ihm angestrebten Position eines Gentleman geschaffen. Sein Entzücken über die Tatsache, daß in den Aufzeichnungen der Kathedralbibliothek ein früherer Kanonikus Portehors in Salisbury vermerkt war, kannte keine Grenzen. »Eine weitere Abwandlung des Namens Porteus«, stellte er fest.
    Er beobachtete seine Umgebung sehr genau. Er traf in Sarum zwar mit Geld, doch ohne Freunde ein, fand aber rasch heraus, daß Frances Shockley beim Bischof einen Stein im Brett hatte, mittellos war und dennoch als Lady galt. Ferner entdeckte er, daß der Bischof, wenn er sie ehelichte und sich ihres jüngeren Bruders annähme, um Frances’ willen seine Karriere fördern würde, obwohl er ihn nicht leiden konnte. Und als er sich jeden Schritt genauestens überlegt hatte, führte er sich bei Frances auf so angenehme Weise ein, daß sie einwilligte, seine Frau zu werden. Niemand war in jenen letzten lauen Jahren des achtzehnten Jahrhunderts pflichteifriger als Nicodemus Porteus, niemand war korrekter seiner Familie gegenüber und niemand würdiger, Kanonikus der Kathedrale zu werden.
    So war es nicht verwunderlich, daß Kanonikus Porteus sich Sorgen um seinen Schwager Ralph Shockley machte.
    »Ich gestehe«, äußerte er nun Barnikel gegenüber, »ich gestehe Euch, Doktor, daß er mir mitunter mißfällt. Dies allerdings«, fügte er bedauernd hinzu, »muß ich als Christ ertragen. Nein, lieber Freund, es ist diese Sprunghaftigkeit seiner Gedanken, sein Mangel an Urteilsvermögen, das, so glaube ich fast, auf eine…« er

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