Sarum
wollte er einen Ehering kaufen, denn in der nächsten Woche, an seinem neunzehnten Geburtstag, wollte er heiraten. Er lächelte zufrieden vor sich hin.
Doktor Thaddeus Barnikel blieb vor der Tür stehen. Konnte er dieses Haus überhaupt betreten?
Natürlich konnte er, er mußte sogar. Der Besitzer hatte ihn in einer dringlichen Angelegenheit zu sich gebeten.
Er blickte sorgenvoll auf die Tür. Wenn er sich nur so weit trauen konnte, daß er nichts verriet, wenn er nur nicht errötete, wenn er nur gerade jetzt nicht zitterte!
Es war angenehm warm. Der Morgennebel war vor Stunden einer freundlichen Herbstsonne gewichen. Auf dem Kathedralgelände fielen gelbliche Blätter in der leichten Nordbrise sanft zu Boden. Die Abgeschiedenheit dieses Areals in Salisbury mit der Kathedrale, die sich wie ein prachtvoller Baum erhob, die ausgedehnten Rasenanlagen und die niedrige zurückgesetzte Reihe hübscher Häuser hatten für Doktor Thaddeus Barnikel immer eine ganz eigene Melancholie um Michaeli, wenn die Blätter fielen. Vielleicht lag das aber auch an seiner Stimmung. Das Haus, vor dem Doktor Barnikel stand, hatte eine hübsche Fassade aus Backstein und Naturstein. Es gehörte dem Kanonikus Porteus, der dort mit seiner Frau Frances wohnte. Barnikel fürchtete sich weder vor ihm noch vor ihr, auf keinen Fall vor dem jungen Mann. Nein, er zögerte, weil auch sie anwesend sein würde.
Eine ganze Minute stand er am Tor, ehe er eintrat. Zehn Jahre zuvor war Doktor Thaddeus Barnikel aus einem Ort nördlich von Oxford nach Sarum gekommen. Er war fünfunddreißig Jahre alt, ein liebenswerter Mann, ein hervorragender und allseits geachteter Arzt, der sich rasch einen guten Ruf in der Stadt erworben hatte. Er bewohnte ein hübsches, bescheidenes Haus mit weißgetünchter Fassade in der St. Anne Street. Niemand in Sarum hatte ihn je ein hartes Wort äußern hören oder ihn zornig gesehen.
Da war sie und saß still mit einer Stickerei beschäftigt neben Frances Porteus im Wohnzimmer. Sie blickte kurz auf, als er eintrat. »Leider ist mein Mann noch nicht zurück, Doktor Barnikel«, sagte Frances Porteus höflich, »aber wir erwarten ihn jeden Augenblick. Bitte, nehmt inzwischen Platz.«
Barnikel verbeugte sich vor der älteren Frau und versuchte, sich ganz auf sie zu konzentrieren.
Es hatte eine Zeit gegeben, die noch gar nicht so lange zurücklag, in der Frances Shockley eine fröhliche junge Frau gewesen war. Viele Einwohner von Salisbury erinnerten sich noch daran. Das war, bevor sie Mr. Porteus geheiratet hatte.
»Natürlich mußt du heiraten«, hatte ihr Vater gesagt, »aber du wirst diesen Mann nie ändern können, mache dir da keine Illusionen. Ich hoffe nur, daß er dich nicht allzusehr verändert.«
Als Barnikel nach Sarum kam, war sie bereits vier Jahre verheiratet, und jedesmal, wenn er sie traf, kam es ihm so vor, als sei Traurigkeit in ihren Augen, als säße ihr natürlicher Frohsinn in einer Falle. Zehn Jahre später war auch dieser Blick verschwunden, und Barnikel wußte nicht, ob er das bedauern oder begrüßen sollte. Frances Porteus, die keine Kinder hatte, war nun eine echte Matrone.
»Ich hoffe nur, daß Porteus nicht grob zu dir ist«, hatte der alte Jonathan Shockley kurz vor seinem Tod gesagt.
»O nein«, hatte sie geantwortet, »niemals. Aber«, sie erlaubte sich einen Seufzer, »er ist sehr korrekt und sehr nüchtern.« So saß sie da, kerzengerade, und stickte.
Barnikel konnte es nicht lange verhindern, daß sein Blick zu ihrer Besucherin abschweifte.
Agnes Shockley war keine Schönheit, aber sie war eine ruhige, angenehme Brünette mit einer etwas zu breiten, sommersprossigen Stirn und Grübchen genau über den Mundwinkeln, wenn sie lächelte. Ihr Vater war Major in einem regulären Regiment gewesen. Sie war sein Liebling und gab ihm kaum je Anlaß zur Sorge. Sie war fünfundzwanzig und trug bei der Handarbeit eine Brille.
Agnes war drei Jahre zuvor nach Sarum gezogen, und daran war für den armen Barnikel nur ein Umstand tragisch: Sie war die Ehefrau des jungen Ralph Shockley geworden.
Ralph war im selben Alter wie Thaddeus, seit über zehn Jahren Schulmeister, doch hatte er eine so jungenhafte Art, seine Begeisterung und seine phantastischen Ideen kamen so plötzlich, daß Barnikel in ihm immer noch einen Jüngling sah. Agnes hatte sich zuerst von Ralphs jungenhaftem Aussehen und seiner ansteckenden Fröhlichkeit angesprochen gefühlt. Thaddeus fand dies alles zeitweilig ermüdend. Aber das
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