Satt Sauber Sicher
Stadtstraße. Keine Zeugen. Keine Worte. Keine Gedanken. Das Massaker auf der Straße. Da liegt deutsche Wertarbeit vom Band zusammengefaltet am Straßenrand und Blut schickt sich an zu rinnen. Simons körperliche Entstellung zu beschreiben, bedarf eines Medizinstudiums, denn aus ihm gucken Dinge raus, die definitiv nach innen gehören.
Da liegen also Fleischstücke von Kindern, zerteilt von Metallstreben und Glasscherben. Kevin lebt. Eine Metallstange im Kopf, aber er lebt. Er sieht nichts außer Blut, Teile des Autos seines Freundes, Hackfleisch, Kotze, Teile seines Freundes, Teile von ihm. Er ist mit Unverständnis gesegnet. Sein Gehirn hat sich behindert gestoßen. Er findet alles immer noch super. Den toten Simon. Keine Passanten, nichts passiert zunächst, die herannahenden Rettungskräfte (wer die wohl gerufen hat?), die Sommerluft in der blutgetränktenAtmosphäre. Alles ist so schön, denkt Kevin, zweifellos. Die Schönheit der Sekunden versinkt in Kevin und Feuerwehrmenschen schneiden seine Reste aus einem Metallklumpen. Gott hat geschlampt. Theo auch. Kevin lebt. Die Sonne kommt. Ex oriente lux. Aus dem Osten kommt das Licht. Eine halbe ungeschälte Orange quält sich den Himmel hinauf.
Als die Axt in den Wald kam, da sagten die Bäume: Na, wenigstens der Stiel ist einer von uns ...
Sprichwort
Die Axt und der Stammbaum
Über Nacht ist ein Gewitter aufgezogen und hat den Himmel schwarz gemacht. Es hat ein wenig Lärm gemacht, das blöde Gewitter. Die Nacht hindurch hat es nicht wirklich gewütet, nein, nur ein wenig undefinierbare Lautstärke gemacht wie ein Kind an der Supermarktkasse, das noch Kaugummis haben will, und die gestresste Mutter zeigt sofort enge pädagogische Grenzen auf und brüllt das im Einkaufswagen festgetackerte Kind mit den Worten nieder: "Nein, dafür haben wir jetzt keine Zeit." Dem Kind kommt dazu kein Gedanke, sondern nur, der Unlogik des Ganzen wegen, mehr Geschrei über die Lippen. Die Mutter lässt die flache Hand auf die Schiebevorrichtung des Einkaufswagens sausen und diese Geste als wortloses Statement stehen. Augenblicklich ist Ruhe in der Shoppingkarre. Das Blag spürt die Mutterwut und auch die pädagogische Unfähigkeit und ist dann lieber erst mal still, denn die letzte Konsequenz, so weiß das Kind, ist ein unberechenbarer Schmerz, der von der Mutter ausgeht. Also, genau so ein Gewitter kam über Nacht. Ein Gewitter, das Angst vor sich selbst hat. Eigentlich eine lächerliche Wettergestalt, aber auch so was muss es geben. Das Gewitter hat nichts gereinigt, wie es normalerweise bei Gewittern so üblich ist. Es war nur da, war kurz laut und auch ein wenig hell und verschwand aus dem Denken wie ein Junge, den man im Vorbeifahren beim Pinkeln in den Straßengraben sieht.
Das dumme, kleine, bedeutungslose Gewitter war nur zu Besuch. Jetzt ist es wieder weg und die Luft ist gut zu atmen. Lungenzüge durch die Atmosphäre führen zu Sauerstoffüberfällen im Gehirn. Dort ballt sich der Ballast des Menschseins. Den ganzen kaputten Menschenrest in einen Karton und auf die Reise geschickt. Seelenasyl.
Roland zweifelt. Zwangsfamilienzusammenführung. Der Tod will es so. Er kommt zwar auch ohne diese Hürde, aber vielleicht ist er dann gnädiger und schmerzfreier, denkt Roland. Er wird seinen krebskranken Körper zu seinem Elternhaus reisen lassen. Das böse Wort "Familie" zirkuliert in Roland, doch er ist auf einem ziemlich hohen Scheiß-der-Hund-drauf-Level. Seit er den Tod und auch Gott unter einem Baum im Park traf, und das war ja der Tag der lebensbeendenden medizinischen Diagnose, lebt Roland wie ein Tier. Die Arbeit ist ihm scheißegal, sein Handy hat er weggeschmissen, alle Sparverträge aufgelöst, alle Aktien verkauft, sich wohlhabend gefühlt und sich dann wieder aus Gewohnheit in die Innereien von Nutten vertieft. Seine Eltern in seinem Kopf. Hubert und Karla. Simple Gedanken voller Hass. Lediglich Hass. Roland denkt auch an seinen Bruder, hat aber keine Ahnung, wo der steckt. Peter heißt der Bruder. Ein wenig älter, ein wenig betroffener von der fucking family, ein wenig früher aus dem Haus und wahrscheinlich ein wenig glücklicher als der zerfressene Roland. Petersehnsucht keimt auf, manifestiert sich in zwei, drei brüchigen Silbertränen und dann kommt sie wieder die Abgefucktheit Rolands. Scheiß auf alles. Speziell auf sich selbst. Er scheißt auf sein spezielles Gefühlsgefüge. Roland ist absolut kein Familienmensch, hat sich über Jahre familiär
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