Satt Sauber Sicher
aufblickend weiterklappernd, ein schlichtes, schlechtes, schleichendes "Nein" ihrem starren Gesicht entlockt, um dann endlich aufzublicken nach endlosen Sekunden der Ungewissheit. "Ach, Roland, alter Kunde. Sag mal, erkennst du mich nicht? Ich bin's. Das Ding aus dem Geäst. Die Tod. Du erinnerst dich doch, oder?" Roland erschrickt heftigst, schaut der Frau in die Augen und sie sieht aus wie eine Flüssigkeit aus Erotik und Dominanz, wie sie da so im Bahnsitz hängt und gafft. Roland fühlt sich bedroht von Frau Tod und beschwichtigt. Schaltet verbal einige Gänge runter. "Ja, äh, klar. Danke für die Zunge. Sie fahren Bahn, Frau Tod?" Smalltalk mit dem Tod. Scheiße, was tut er da? Darauf lässt sie sich doch bestimmt nicht ein, die mächtige Weltentmenscherin. Tut sie wider Erwarten aber doch und antwortet ruhig und in smalltalkwilligem Slang: "Nun ja, Freizeit. Hab mir zwei Wochen Urlaub genommen. In der Zeit wird nicht gestorben. So ist das, auch der Tod muss mal pausieren ..." Roland ist erstaunt. Über die Äußerungen von so was Krassem wie dem Tod. Lieblichkeit in ihrer Struktur verwirrt seine Innerlichkeit ...
Roland guckt nachdenklich auf die Frau. Er sollte die Urlaubsstimmung von Frau Tod ausnutzen und auf Korruption spekulieren. Eventuell geht ja was, vielleicht kann sich die Tod ja von was ande-rem als einem viel zu jungen und viel zu gedankenkranken Ex-Börsen- makler ernähren. Vielleicht geht ja doch noch was. Aufschub. Urlaubsverlängerung. Irgendwas, was Krebs wegmacht. Irgendwas, was seinen Kopf beruhigt. Ein Wind aus Valium oder dergleichen. Etwas ohne Schmerz und ohne Angst. Wenn ein junger Mann seiner Vergänglichkeit gegenübertreten muss, ist es schlimm, wirklich schlimm. Aber wie schon der tiefstimmige, fellbemützte und faserbärtige Schlagersänger Ivan Rebroff unlängst in einem Interview verlautbarte: "Wo man hinspuckt, muss man auch auflecken." Recht so, alter Halbrusse. Roland in Panik. Panik in Roland.
Die Frau, die gar nicht der Tod ist, aber von Roland angeschaut wird, als wäre sie es, beginnt hektisch zu werden, ihr Gesicht nimmt wütendes Rot mit in die Pigmente auf und sie schreit unruhig: "Was starren Sie mich denn so an? Junger Mann, lassen Sie das bitte." Roland ist noch nicht Herr seiner Sinne, war er ja auch lange nicht mehr. Verzweifelte Panik mischt sich in seine halb verweint ausgesprochenen Worte. "Weil Sie der Tod sind. Bitte, tun Sie mir nichts. Nehmen Sie sich doch stattdessen meine Eltern. Die haben es verdient. Bitte. Oder verlängern Sie Ihren Urlaub, fliegen Sie weg. Nach Afghanistan, da werden Sie erwartet. Ebenso im Iran. Bitte verschonen Sie mich. Bitte. Bitte. Ich bin doch noch so jung ..." Sein Wimmern. Seine Verzweiflung. All das macht der Frau, die nicht der Tod ist, Angst. Roland bemerkt das nicht. Er fasst die Frau an. Er ergreift ihren Arm. "Bitte, verschonen Sie mich, ich bin jung, erfolgreich, ich kann die Welt verändern, schlecht oder gut kann ich sie machen diese Welt, je nach dem, wie sie die Welt haben wollen ..." Roland rüttelt der völlig verwirrten Frau am Arm rum. Schreit sie öffentlich an. Die Frau kann sich aber losreißen, wobei ihr Laptop unsanft zu Boden stürzt und sich in uncharmante technische Einzelteilezerlegt. Sie flüchtet schnellen Schrittes aus dem Abteil. Rennt den Gang entlang. Rolands Wahrnehmung verarscht ihn jetzt öfters, seit er Überdosen Valium mit Speed und Crack mischt. Dass das nicht zusammenpasst, ist ja irgendwie klar, denn wer kann schon zugleich Schmerzen unterdrücken und dabei ein voll funktionsfähiges und sogar temporeiches Wahrnehmungssystem sein Eigen nennen? Schnelle Langsamkeit funktioniert nicht im menschlichen Kontext. Und langsame Schnelligkeit schon dreimal nicht.
Da kommt Bahnpersonal angehetzt und sieht nicht sehr freundlich aus. Hinten dran die Frau, die Roland für den Tod hielt, eigentlich immer noch hält. Alle gucken Vorwürfe durchs Abteil. Roland will gern ankommen irgendwo und da ist ein Stein, wo mal sein Sprachzentrum war. Der Bahnbeamte drängt Roland in eine Ecke des Abteils, baut sich vor ihm in seiner ganzen männlichen Uniformiertheit auf und deutet auf die verstörte, leicht verheulte Frau hinter ihm. "Sie haben diese Frau belästigt?" "Nein, nicht wirklich." Ein fehlgeschlagener Beschwichtigungsversuch, der Bahnmann bleibt ein ernst schauender Freak in einer schlecht sitzenden Uniform. Die Frau mischt sich aus der Sicherheit des Hintergrundstehens ein. "Der Typ ist total irre,
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