Satt Sauber Sicher
Geschehenes.
Alles so süß, mag man meinen. So nett wie fett. So liebevoll der Umgang mit den Menschen. Oha, da hilft aber einer gut mit. Sozial. Wie gut. Hier gibt es zwar mehr Speichel- als Informationsfluss, aber gut, dass da einer ist, der hilft. Der gelernt hat, das zu verstehen. Das ganze Elend. Hach und ach. Wie schön, wie nett, dass es Menschen wie Peter gibt, die diese sabbernden, nervigen Menschen in kleinen, niedlichen Anstalten verwahren, damit sie nicht die Plätze in der S-Bahn blockieren oder sogar Arbeitsplätze.
An den Wänden selbst gemalte Bilder. Behinderte Hände und Wachsmalkreide oder primitiver: Die Hand in den Farbtopf und den Mist auf ein weißes Blatt Papier. Daneben ein Gruppenbild. So schön kann das Leben sein. Die Bewegungen haben hier eine ganz eigene Ästhetik. Vielleicht ist der Mensch ja auch so gemeint? Genau so wie er hier unter fachgerechter Betreuung lebt. Langsam, wahrnehmungsgestört und reizüberflutet.
"Das könnt ich aber nicht" oder "Ist das nicht frustrierend?" sind Sätze, die Peter von seinen Bekannten hört, wenn er sich über seine tägliche Arbeit unterhält. Aber denkt man das auch über einen Metzger, wenn er eine Wurst macht? Oder über einen Fahrlehrer, wenn er fahrschult? Oder über Staatschefs, die rumregieren, als könnten sie's?
Oder über Mütter, die ihre Kinder schlagen, verbal und mit der flachen Hand?
Die Masse der geistigbehinderten Mensch tendiert zum Arbeitsplatz, um sich, wie auch jeder Mensch in der sogenannten freien Wirtschaft, ausbeuten zu lassen. Sie nähern sich ihren Betätigungs- und Bestätigungsfeldern. Dort tun sie dann Schrauben in kleine Tüten (und andere Leute regen sich auf, wenn beim Kauf des nächsten Ikea-Regals Smörgbjörn irgendwelche Schrauben fehlen, genau hier werden sie vergessen), bohren Löcher und/oder Nase, pflegen Sozialkontakte, montieren, kleben, leben. Nebenher ärgert man sich übers Mittagessen, über Betreuer Friedhelm Janksal, der wieder einmal nicht pädagogisch, sondern nur blöd reagiert, oder über andere Beschäftigte der Werkstatt.
Oder die ganz Schwachen, die in halbschlauen, pädagogischen Fachkonferenzen Schwerstmehrfachbehinderte genannt werden. Sie machen, was sie können. Sabbern, lautieren, manchmal essen. Die meisten ihrer Fähigkeiten werden ihnen vom Perversonal fremd eingeschätzt. Nussschalendoofe Praktikantinnen werfen ihnen im Bällchenbad Bällchen vor den Kopf. Das heißt dann Wahrnehmungsexkurs oder Eröffnung neuer Wahrnehmungsfelder und fühlt sich für die Praktikantinnen wie die harte Arbeitsrealität an. Für den Bällchenbad- Drinsitzer ist es lediglich ein undefinierbarer Schmerz am Kopf. So weit, so arbeitsreich, so gut.
In Peters Wohngruppe ist seit zwei Wochen ein neuer Bewohner stationär aufgenommen. Ein Unfallkind namens Kevin. Ein Lkw hat ihn schwerstmehrfachbehindert und seinen Freund tot gemacht und ist dann weitergefahren. Dann war dieser Kevin lange im Krankenhaus, wohl gar ein komatöses Menschenrestlein und jetzt, da wieder Fleisch an Fleisch gewachsen ist und sich seine Wunden geschlossen haben, ist er hier in der Behinderteneinrichtung zum Probewohnen für einenregulären Wohnplatz. Aber eine Menge Hirnrisse sind da, die vorher nicht da waren. Die Sprache weg. Das Sehen und Empfinden ganz anders. Nahezu alle Filter, die zwischen wichtigen und unwichtigen Gehirnereignissen entscheiden könnten, sind weggebrochen. Ja, ja, diese seine Schädeldecke war offen und raus floss der Schwall der Gedanken. Ab in den Rinnstein floss die ganze Menschlichkeit und wurde durch eine neue ersetzt. Speichelfäden, Spasmen, alles da. Kevin weiß weder, was vorher war, noch was heute ist. Und ist glücklich. In Kevins Gehirn weht ein gerechter Wind. Der Wind im Kind klingelt leise an die Ohren von innen und macht ein Lächeln, das ein altes Jungengesicht entstellt.
"Moin, Kevin", nähert sich Peter Kevins Bett und riecht auch sofort dessen Vollgeschissenheit. Peter kumpelt trotzdem rum, so wie es bei neuen Bewohnern seine Art ist. Schnell akklimatisieren und wohlfühlen ist angesagt. Und die Artikulation so normal wie möglich, obwohl es in diesem Bereich keine Normen geben sollte, meint Peter und Kevin auch, wenn er denn noch Meinungen bilden kann. Kevin speichelt, lächelt, quiekt. Seine Verdauung ist warm, ist flauschig, ist nass und gut. Der ganze Kevin zu einem menschlichen Spasmus ohne Sehnsucht geformt. Verformt sagt, wer Böses denkt. Kevin hat seine Form geändert und
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