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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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die meisten seiner menschlichen Erfahrungen durch den Unfall eingebüßt. Ein Weiterleben ist akzeptiert, weil Kevins verbogenes Gehirn kein Anderssein mehr kennt und sich an nichts vor dem Aufwachen aus dem Koma erinnern kann. Nein, Erinnerungen, die älter sind als zwei Minuten, gibt es eigentlich auch nicht mehr. Ein Güte umweht Kevin, als er Peters Nähe wahrnimmt.
    Peter muss Kevin waschen. Kevin hat einen Ständer und quiekt. Peter trägt ihn in eine Badewanne, um die ganze Scheiße runterzuspülen. Das Wasser ist lauwarm und der Ständer klingt langsam ab. Peter wäscht Kevin. Er hat einen Waschlappen über seine Hand gespannt und fährt über die junge Haut des Unfall-Kevins. Fährt ihm damitvorbei am Poloch und da ist noch 'ne Menge. Kevins Blick ist nicht zielgerichtet. Flackert durch den Raum, der wirre Blick. Kann nicht haften bleiben an bestimmten Sub- oder Objekten. Kann nicht viel der Blick. Kann nicht die Information des Gesehenen ans Gehirn vermitteln. Wozu auch? Die Welt scheint gut zu sein. Kot riecht geil, findet Kevin. Gewaschenwerden ist ein zufriedenstellender Mechanismus. Wenn einem keiner draufkommt und einen keiner stört, ist dieses Behindertsein doch perfekt. Glücklich.
    Aber: Die gesammelte Wahrnehmung ist ja kaputt: Zu viel bricht in sein Gehirn ein. Powert durch die Hirnrinde in sein unfilterbares Bewusstsein. Licht, Geruch, Stimme, alles in einem verwirrenden Wohlklang. Dennoch: Wohlklang. Peter arbeitet gut. Mit einer distanzierten Zärtlichkeit taucht er Kevin unter Wasser und wäscht seine Haare über den Schädelnarben. Dann legt Peter Kevin auf einen großen Wickeltisch und trocknet ihn ab. Dann runter da, vorher Packe um, bequeme Klamotten an und ab in ein wie Kevin geformtes Rollstuhlding. Das hat ein Sanitätsfachmann gefertigt und es ist gut, modern und an die zerbrochene Wirbelsäule Kevins angepasst. Da sitzt Kevin erst mal rum in diesem Ding mitten im Raum und denkt sich was, was nicht wiedergebbar ist, denkt aber ungemein viel, der Kevin, und Peter geht eine rauchen.
    Quatschfamilie, sagt Peter zu sich. Er denkt ebenfalls. Nicht an Kevin. Das ist ein Routinemensch, dessen Pflege bloßes Handwerk ist. Dessen Beziehungsfähigkeit eingeschränkt ist und der bei lauten Geräuschen weint oder lacht, scheiß der Hund drauf. Ob Kevin weint oder lacht, ist weitestgehend zufallsgesteuert. Die Behinderung. Die Wahrnehmungsstörung. Der krass zermalmte Denkapparat in seinem Kopf. Die gut klingenden Freundlichkeitsworte des Pflegepersonals. All diese Faktoren machen dieses Leben dieses Kevins schön.
    Peter denkt an seine Familie. Aber nur einen Gedankensplitter später sind ihm Mutter Karla, Vater Hubert und Bruder Roland egal. Denn sie sind alle soweit weg und eine Rückkehr ist ausgeschlossen. Peter, du hast alles richtig gemacht, denkt sich Peter, der wirklich alles richtig gemacht hat. Nur weil als Kind seine Emotionen ein wenig gestört wurden, kann er keine Normen empfinden. Deswegen ist er so perfekt für diesen Beruf, weil ihm emotionale Distanz schon von seinen Eltern anerzogen wurde. Was sein Bruder wohl macht? Scheiß doch drauf, denkt Peter dann und guckt abaschend zu Kevin, der mit seinem Blick auf einer weißen Wand umherwandert. Scheiß auf alles, weiß Peter und macht einen Gedankenordner zu, den er erst wieder in fünfzehn Jahren öffnen wird. Dann werden alle tot sein, die zu seiner Familie gehören und Peter hat alles richtig gemacht.
    Kevin bekommt ein breiartiges Frühstück. Cerealienschlamm mit gequetschtem Obst. Dickes geht nicht mehr durch seinen dünnen Hals. Schnabeltassentee schon und seine Geschmacksnerven feiern Kirmes und sitzen im Körperzirkus in der ersten Reihe. Die Überraschung eines Essens. Kevin ist erstaunt und nach dem Essen wegen des Erstauntseins so fertig, dass er nach fünf Minuten einschläft. Der passt gut in diese Wohngruppe, denkt sich Peter. This freak fits.
    Niemand ist hier wirklich therapierbar, weiß Peter. Niemand ist hier normalisierbar im Sinne des deutschen Volkes. Aber Utopien sind auch was Schönes. Kann man sich reinlegen in so eine Utopie und den Kevin Richtung Bankkaufmann fördern. Aber Kevins Gehirn dreht sich rückwärts gegen sich selbst. Soll heißen, es wird nur weniger Fähigkeiten geben, nicht mehr. Nie mehr mehr. Die Wahrnehmung wird bleiben, wie sie ist und sich verschlechtern. Es geht nur um Kevins Spaß. So wie in seinem Rückspiegelleben. Da war auch nur Fun, nur er konnte sprechen und laufen und musste

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