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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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Stilleben –, und schon kommst du zurück, nudelst die Schwarzhaarige durch, beißt mir den zweiten Arm ab, schickst ein zärtliches Briefchen an einen gewissen Kaufmann, reißt dich für einen Augenblick aus deiner Saturn-Werkstatt los, um deine Frau zu befruchten, worauf du noch nach Sonnenuntergang eine große, heldenhafte Allegorie abschließt, eine Zarzuela -Melodie pfeifend und die auf der Hutkrempe herunterbrennenden Kerzen immer wieder durch neue ersetzend.
    Denn alles um dich herum brennt herunter, vergeht, verblasst, altert, aber du, die Augen immer weiter aufreißend, du weidest dich an dem, was dir gerade in die Hände fällt, immer noch stark und muskulös, wenn auch hier und da rundlich, wenn auch deine langen, schmutzigen Zotteln und dein zerzauster Bart inzwischen grau sind; wenn nichts anderes in der Nähe ist, frisst du deine Kinder, deshalb lebst du fast unendlich; und selbst wenn du schließlich umfällst und nicht sechs, sondern nur ein Kind auskotzt, dann stellt sich heraus, dass es zu lange in deinem Magen gelegen hat, um den Blitz zu beherrschen und auf dem Olymp zu thronen. Du spuckst ein altes Männchen mit Doppelkinn aus, das in Schleim und Galle aufwacht; durchgekaut, aber wieder heil, tastet es unsicher Arme und Bauch ab und geht davon, angeschmiert. Als wäre ihm nichts bestimmt.

XXXIX
Javier spricht
    Ich malte vielleicht zwei Stunden, vielleicht auch vier, fünf – es war immer noch Nacht, und durch die Fenster zu beiden Seiten des Saturn sah ich die gleiche Dunkelheit wie die, die sich hinter ihm erstreckte; ein Stück weiter befand sich die Krankheit mit dem Messer in der Hand und der schwarze Ziegenbock, der die angehende Postulantin betört, und weitere Szenen, durch die schwarzen Fenster und das Halbdunkel in den offenen Türen voneinander getrennt; ich ging um den Möbelstapel herum, die Wände entlang, in der Hand den Kerzenleuchter, und sah mir jedes dieser Bilder an, jeden einzelnen Teil der großen Finsternis, die Männer, Frauen, Kinder und Dämonen umschließt, die Welt, in der wir nisten, durch die wir uns wie Maulwürfe und unterirdische Larven wühlen – so weit das Auge reicht Schwarz, Schwarz, Schwarz. Im Saal, in der Diele, auf der Treppe. Alles, was am Tag Farben hatte, war jetzt gleichermaßen schwarz, wenn auch in unterschiedlichen Tönungen: bläulich dort, wo das Licht des schmalen, geschärften Mondes durch das Fenster fiel, bräunlich da, wo der warme Schein der Kerzen wirkte. Über den schwarzen Stufen der Paradetreppe die schwarze Balustrade, weiter oben die schwarzen Gemälde in schwarzen Rahmen, eine Menge schwarze Dublonen und noch mehr schwarze Realen und Maravedi wert. Und auf dem Hintergrund des hohen Fensters mit dem Ausblick aufs Schwarz – der große schwarze Kopf auf dem schwarzen Sockel, rund wie eine Kanonenkugel, hart wie der Schädel eines Bullen, mit der breiten Stirn, die jeden Schlag pariert, die sich durchs Leben schlägt, alles und alle beiseitestoßend, mit dem noch tieferen Pechschwarz unter der Wächte der dicken Brauen, mit vollkommen leeren, weil nur auf sich selbst, nach innen gerichteten Augen.
    Das braucht er, das hat er immer gebraucht: sich umsehen. Er war nicht nur taub, sondern auch blind, und es wurde Zeit, dass ihm endlich jemand die Augen öffnete. Ich stellte den Leuchter ab. Ein Glück, dass Mariano ein wenig gespart und, statt einen Bildhauer zu bezahlen, nur den Gips hatte anmalen lassen, so dass er wie ordentlicher Marmor aussah; dank dessen war der Kopf leichter, und selbst ein etwas dicklicher Fünfzigjähriger konnte ihn vom Sockel heben.
    Ich packte ihn fest, rüttelte an dem Sockel, und als der Kopf sich bewegte, verlagerte ich das ganze Gewicht auf meine Arme und konnte mich kaum mehr auf den Beinen halten; aber ich sagte mir – das schaffe ich, schließlich bin ich es gewohnt, ich trage diese Last seit fünfzig Jahren, da werde ich sie noch ein wenig länger tragen können.
    Zuerst trug ich ihn nach unten; schade, dass ich nicht gleichzeitig den Kopf und die Kerzen tragen konnte. Ich bewegte mich sehr langsam und tastend, damit ich nicht auf eine umgeworfene Schüssel oder ein Stöckchen trat oder mit der Hüfte an einen Stuhl oder eine Klinke stieß – ich wollte ja den Kopf nicht kaputtmachen, ich wollte ihm nur das G a n z e zeigen. Jetzt, da es vollendet war. Ich kannte die Bilder auswendig, und er schaute ohnehin mit Augen, die kein Licht brauchten, um irgendetwas wahrzunehmen; also gingen wir in

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