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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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und von dem wir keine Ahnung gehabt hatten, Form und Farbe an: das lange Warten auf die seltenen Begegnungen, auf das gemeinsame Jagen, das Streifen durch die Wälder, das tierische Sich-Paaren im Zelt; Herbergen und Gasthöfe mieden sie, fürchteten sie doch, es könnte sie jemand in einer Situation erwischen, die man den Richtern eines wie auch immer gearteten Tribunals nicht würde erklären können und die sogar einen königlichen Maler und frisch geadelten Geschäftsmann in ernsthafte Schwierigkeiten und Verruf hätte bringen können – wenn sie nicht direkt auf den Scheiterhaufen führte.
    Vaters Briefe waren ungenierter, voll von unanständigen Witzen, Karikaturen, der Erde und den irdischen Dingen näher: Essen, Geld, allerlei Angelegenheiten, die erledigt werden müssen, damit das Leben reibungslos funktioniert; Zapater schrieb zärtlich wie ein Fräulein; ich hätte nie gedacht, dass der bärtige Mann mit der großen Nase, den ich von den zufälligen Begegnungen, den kurzen Aufenthalten in unserem Haus vor vielen Jahren vage in Erinnerung hatte und den ich jetzt auf den vulgären Zeichnungen an den Briefrändern in verschiedenen Posen wiedererkannte, so zärtliche, ja rührselige Worte wählen könnte. Wie viele Tränen, Seufzer, wieviel Herz … Und gleichzeitig war fast in jedem Brief mindestens eine Seite den obszönsten Beschreibungen dessen gewidmet, was Männer miteinander machen können, wenn sie bis ins Mark verdorben sind und sich gegen ihre Natur versündigen. Wenn ein Mensch mit so kühler Seele wie ich an den Satan glauben wollte, dann wohl nur nach der Lektüre eines Briefes, in dem gleich nach den zärtlichsten Ausdrücken und subtilsten Klagen eine Passage darüber steht, wie grob Du mir über den rauhen Arsch fährst oder wie ich Dein Nest ausschlecke, wenn Du meinen Knüppel mit seinen zwei kahlen Kollegen nimmst bis zum Schluss, soviel in den Hals geht. Ich lenkte den Blick auf die andere Seite der Tischplatte, wo Vater eine Woche später, nachdem er all das gelesen hatte, zurückschrieb – über ein fälliges Darlehen und den Preis von zwei guten Mauleseln in Madrid; ich wusste nicht, wie ich das begreifen sollte, ich fand weder Worte noch Gedanken, die es mir erlaubt hätten, mich mit diesem Strom aus Kot und ungesunder, ekelerregender Süßlichkeit abzufinden, den ein alternder Mann dem anderen schickte, im Namen längst vergangener Schulbankgeschichten, Fummeleien, auf die sie aufgrund ihrer Willensschwäche nicht verzichten konnten.
    Und das all die Jahre. So viele Jahre. Neben der zwanzigmaligen Befruchtung der eigenen Frau und der Befruchtung von Gott weiß wie vielen anderen Bäuchen, neben unzähligen Romanzen, Bordellbesuchen, neben dem Anmachen der Modelle aus den Tavernen, dem Verhüllen der heiligen Bilder in der Werkstatt – dieses andere Leben, durchdrungen von der abstoßendsten aller Sünden. Er war ja taub – aber haben wir denn genau genug hingehört?
    Ich las nicht alles durch. Der Brief, voll von Zärtlichkeiten und Seufzern, in dessen Mitte hell ein großer, leerer Umriss zu sehen war, exakt mit der Feder umrandet, tat das seine; im Übrigen sollte bald der junge Zapater kommen. Rasch sammelte ich die Briefe ein, band sie zusammen und warf sie in das Versteck, dann machte ich mich daran, die Schubladen und Schublädchen wieder an ihren Platz zu schieben.
    »Der Herr von gestern, für Sie«, sagte Felipe an der Tür. Ich erwiderte, er solle ihn in den Garten führen und unter dem Baum auf der Steinbank Platz nehmen lassen. Er möge warten, ich würde gleich kommen.
    »Na? Und«, fragte das Männchen, als ich in den Garten trat, »haben Sie sie gefunden?« Und der Neffe sprang mir entgegen; natürlich saß er nicht auf der Bank, er lief umher, trippelte, hüpfte, hin und wieder den Umhang enger um sich ziehend, denn an jenem Tag wehte von der Stadt her ein kalter Wind. Ich sagte, ich hätte nichts gefunden, und mit Vaters Briefen solle er machen, was er wolle, schließlich hätte er sie geerbt. Ich bräuchte sie nicht, und was den Blödsinn angehe, der an manchen Stellen stehe, so wisse ja jeder, dass Francisco Goya an einer schweren Krankheit gelitten habe, die ihm vollkommen das Gehör, teilweise aber auch den Verstand geraubt habe, und dass er in seinen Briefen – bedingt durch zeitweilige Anfälle von Wahn – bisweilen schrecklichen Unsinn geschrieben habe.
    Ich weiß nicht, was er mir antworten wollte, denn er war so versteinert, dass ich verschwunden war,

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