Saubere Verhältnisse
wieder mit nach Hause genommen. Donna wurde immer kränker, ihr Bauch blähte sich auf, sie fraß fast nichts mehr, am Ende lag sie nur noch da und hechelte. Man durfte sie nicht mal mehr anfassen. Es war offensichtlich, daß sie starke Schmerzen hatte.
Meine Eltern wollten sie in die Tierklinik fahren, um ihr Leiden zu beenden, aber ich wurde wie verrückt, wenn sie davon sprachen. Ich bekam richtige Wutanfälle, versteckte die Autoschlüssel, schwänzte die Schule und wachte neben Donna. Ich wußte, daß es besser für sie wäre, zu sterben. Aber …«
Er machte eine Pause, in seinem Blick war Schmerz und Scham.
»Ich konnte mich einfach nicht von ihr trennen. Ich wußte, daß es egoistisch und kindisch war, ich schämte mich, denn ich war schon fünfzehn und viel zu alt für ein solches Benehmen. Ich konnte es nicht ändern. Ich war schon immer so. Ich weiß nicht, warum.«
Er schaute Yvonne an, fragend und bittend, als ob sie ihm eine Antwort geben könnte. Aber sie sah ihn ganz ruhig an und wartete, daß er weiterredete.
»Es gibt kein traumatisches Ereignis in meiner Kindheit, ich erinnere mich jedenfalls an keines«, sagte er. »Aber ich konnte es nicht ertragen, wenn meine Mutter mich verließ. Wenn sie etwas erledigen mußte und ich gut versorgt bei jemandem war, dann schrie ich wie ein Verrückter, bis sie wiederkam.«
Er schüttelte über sich selbst den Kopf.
»Ich sah doch, wie Donna litt. Und meine Eltern litten auch bei ihrem Anblick. Meine Mutter wurde fast hysterisch. Aber ich blieb eisern. Mit der unlogischen Dickköpfigkeit eines Kindes und der Kraft eines Mannes wachte ich neben dem aufgeblähten Hundekörper. Er hatte inzwischen offene Wunden, als ob der Bauch platzen würde, aus den Wunden kam eine stinkende, blutige Flüssigkeit. Sie war mehr ein Kadaver als ein lebendiges Tier.
Als ich endlich einwilligte, sie wegzubringen, war sie nicht mehr bei Bewußtsein. Sie mußte nicht mehr eingeschläfert werden. Die Autofahrt war zuviel für sie, als wir bei der Tierklinik ankamen, war sie tot. Der Tierarzt, der sie auf der Ladefläche des Autos liegen sah, sagte, etwas so Schlimmes hätte er noch nie gesehen, und es sei Tierquälerei, einen Hund so unversorgt sterben zu lassen. Mein Vater nahm die Zurechtweisung mit zusammengekniffenen Lippen entgegen. Ich saß auf dem Rücksitz, hörte zu, schwieg und schämte mich.
Die Tierklinik kümmerte sich um den toten Körper, und als wir ohne Donna nach Hause fuhren, drehten meine Eltern sich besorgt zu mir um und fragten, wie es mir ging. Sie waren auf einen schrecklichen Trauer- und Wutausbruch vorbereitet. Aber jetzt war passiert, wovor ich solche Angst gehabt hatte. Donna war weg und würde nie mehr wiederkommen.
Der Ordnung halber hatte ich einen kleinen Ausbruch, als wir nach Hause kamen, aber verglichen mit meinen sonstigen Vorstellungen war das eher bescheiden. Insgeheim war ich sehr erleichtert. Das Schlimmste, was hätte passieren können, was mich verderben und vernichten würde, das war geschehen. Und ich hatte es überlebt. Ja, ich war fast glücklich. Klingt das merkwürdig?«
»Nein, das klingt ziemlich vernünftig«, sagte Yvonne. »Du hattest ja lange Zeit unter großem Druck gelebt, und es muß befreiend gewesen sein.«
»Aber das Gefühl hielt nicht lange an«, fuhr Bernhard fort. »Denn jetzt wollten meine Eltern das Versprechen einlösen, das sie mir gegeben hatten, als wir von Donnas Krankheit erfuhren: einen neuen Hund zu kaufen. Einen Labradorwelpen. Hell. Ich war unruhig. Ein neuer Hund würde ja einen neuen Abschied bedeuten. Das würde zwar noch lange hin sein, aber irgendwann würde er kommen.
Widerwillig bin ich mit zur Hundefarm gefahren. Ich habe mich überhaupt nicht für die Welpen interessiert. Meine Mutter sagte, einer sähe genau aus wie Donna, als wir sie kauften, aber ich wußte gar nicht mehr, wie sie aussah. Es gab noch einen Welpen, hieß es, aber der war im Haus. Nach einer Weile kam ein Mädchen mit ihm heraus.
Ich weiß noch, wie sie mit dem Welpen im Arm auf die Treppe kam. Wie sie ihn hinhielt, nicht meiner Mutter oder meinem Vater, sondern mir und wie sie mir mit festem Blick in die Augen sah. Sie trug eine Latzhose aus Jeansstoff, und als sie lächelte, sah ich, daß sie eine breite Lücke zwischen den Vorderzähnen hatte.«
Bernhard machte eine Pause, als versänke er in der Erinnerung.
»Da habe ich Karina das erste Mal gesehen. Obwohl ich fünfzehn war, hatte ich noch keinen Gedanken an
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