Saubere Verhältnisse
sie durchsuchen und ihren Führerschein finden würde.
Die Tür zum Konferenzraum wurde geöffnet, und Helena trat in Begleitung einer Wärterin ein. Sie trug einen hellgrauen Jogginganzug und Laufschuhe. Mit ihrer sportlichen Frisur und dem rhythmischen Gang schien sie eher von einer Joggingrunde im Wald als aus einer Gefängniszelle zu kommen.
»Ich lasse euch jetzt allein. Da drüben in der Thermoskanne ist Kaffee. Und in der Dose daneben müßten Kekse sein.«
Die Wärterin ging hinaus und schloß die Tür hinter sich.
»Möchten Sie Kaffee?« fragte Helena.
»Ja, gern.«
Helena schenkte ihnen aus der Thermoskanne Kaffee ein – auf die Kekse verzichteten sie beide – und setzte sich ans Kopfende des Tischs. Auf den Platz des Versammlungsleiters, konstatierte Yvonne.
»Das Konferenzzimmer. Nicht schlecht«, sagte sie und schaute sich um. »Ich nehme an, nicht alle Gefangenen können ihre Besucher hier empfangen. Sie müssen eine richtige Mustergefangene sein, daß Sie solche Privilegien genießen.«
Helena antwortete nicht.
»Sie benehmen sich bestimmt perfekt. Sie bügeln vielleicht sogar die Hemden des Anstaltleiters?«
»Haben Sie ein Anliegen?« fragte Helena in neutralem Ton.
»Ja. Aber ich möchte mich zunächst entschuldigen für das letzte Mal, als wir uns trafen. Was Sie in Ihrem Schlafzimmer gesehen haben, wird nicht wieder vorkommen.«
Die blauen Augen schauten sie verblüfft an. Dann mußte Helena lachen.
»Oh«, sagte sie. »Ich hoffe, meine Anwesenheit war Ihnen nicht peinlich. Sie sind so schnell verschwunden.«
»Ich habe mich zutiefst geschämt. Ich verstehe, daß wir Sie verletzt haben, und ich möchte deshalb aufrichtig um Verzeihung bitten.«
Helena lächelte wie über ein Kind, das etwas Lustiges gesagt hatte, ohne es selbst zu verstehen, und sagte ruhig:
»Ich bin zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ich kann nicht erwarten, daß mein Mann mir während dieser Zeit körperlich treu ist. Wie er das macht, geht mich nichts an. Aber ich finde, es ist eine praktische Lösung des Problems, die Putzfrau dafür zu verwenden.«
»Sie sind eine sehr rationelle Person, Helena.«
Sie zuckte leicht mit den Schultern, nahm den Kaffeebecher und trank. Yvonne bemerkte, daß die Nägel kurz, aber sorgfältig manikürt und farblos lackiert waren.
»Man sollte die Dinge nicht unnötig kompliziert machen.«
»Der Grund für mein schnelles Verschwinden damals war nicht nur, daß ich mich geschämt habe«, fuhr Yvonne fort. »Ich hatte auch Angst. Ich dachte, Sie würden die Geliebten umbringen, die Sie erwischen.«
»Aha.«
Helenas Gesicht war ausdruckslos.
»Aber wir wissen ja beide, daß das nicht so ist.«
Sie verzog immer noch keine Miene.
»Bernhard hat mir alles erzählt. Wie die Tat abgelaufen ist und wer der eigentliche Mörder ist.«
Falls Yvonne eine Reaktion erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. Helena zeigte keinerlei Bestürzung oder wenigstens Erstaunen. Sie schaute Yvonne weiter mit einem höflichen, aufmerksamen Gesichtsausdruck an, als ob sie über ihre Menstruationsschmerzen oder Ärger am Arbeitsplatz berichtet hätte.
»Warum haben Sie das Verbrechen eines anderen Menschen auf sich genommen?«
»Bernhard hätte eine Gefängnisstrafe nicht ertragen«, antwortete sie einfach. »Er wäre eingegangen. Ich habe sein Verbrechen auf mich genommen, weil ich ihn liebe und ihm dieses Schicksal ersparen wollte.«
»Also eine Märtyrerin«, stellte Yvonne sachlich fest. »Das habe ich mir gedacht. Aber wenn Sie auf Kanonisierung hoffen, stehen die Chancen schlecht. Kandidaten, die die Sünden anderer auf sich nehmen und für deren Erlösung leiden, sind im Vatikan nicht sonderlich beliebt. Dort wird die Ansicht vertreten, daß nur einem dieses Kunststück gelungen ist. Und mit ihm darf man sich nicht vergleichen. Das findet man … ja, etwas anmaßend.« Helena lächelte belustigt.
»Sie sehen das viel zu tiefsinnig. Bernhards Schuld kann ich natürlich nicht auf mich nehmen. Damit muß er selbst zurechtkommen. Es ist eine ganz praktische Frage. Einer mußte die Strafe auf sich nehmen. Und ich war dafür besser geeignet. Nach einem festgelegten Schema zu leben kommt mir sehr entgegen, ich habe keine Probleme mit Disziplin. Ich leide nicht unter Zellenangst. Wenn ich freikomme, werde ich meine Arbeit als Krankenschwester wiederaufnehmen können. In der Pflege werden immer Leute gebraucht. Bernhards Karriere wäre beendet. In seinem Job kann man nicht
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