Saupech (German Edition)
an der Schminke liegen. Vielleicht war es auch nur der südländische Einschlag. Zirner war es manchmal peinlich, aber er konnte viele Migrantengesichter nicht voneinander unterscheiden. Vor allem in den Gemeindebauten wimmelte es von Jugendlichen, die für ihn alle gleich aussahen. Sie trugen die gleiche Kleidung, schminkten sich identisch, sogar die Tätowierungen und die Piercings, mit denen sie sich individuell gestalten wollten, brachten nur Uniform hervor. Ob das mit gelungener Integration gemeint war?
»Kann ich ihn mitnehmen?«, fragte der Spurensicherer ungeduldig und blickte auf seine Uhr. »Zu Mittag wär i gern bei den Schinkenfleckerl.« Er leckte sich über seine wulstigen Lippen, während er gleichzeitig mit der linken Hand seine hungrige Wampe tätschelte.
»Nein. Wir warten, bis Frau Fleischhacker den Kopf gesehen hat. Es ist ihr Fall«, antwortete Zirner bestimmt und hoffte, damit das Thema erledigt zu haben.
»Was sieht sie, was wir nicht sehen? Das meiste wird heute sowieso bei uns in der Biologie erledigt. Der Psychokram wird doch völlig überschätzt«, sagte der Spurensicherer.
Seine Angeberei war genau der falsche Weg, um Zirner umzustimmen. Er hasste die Hybris der Forensiker, die Reduktion eines Mordfalls auf DNA - und C 15-Analysen. Er war angetreten, um die Psyche des Menschen zu ergründen, und nicht, um sich von eiweißhaltigen Molekularketten schikanieren zu lassen. Diese Reagenzglasaffen spielten sich auf, als wäre die Schöpfung des ersten Menschen ein Kinderspiel gewesen; und er war sich sicher, dass sie es auch sein würden, die garantiert den letzten Menschen erschufen. Aber solange er noch im Dienst war, kämpfte er darum, dass Täter, auch wenn manche davon Bestien waren, nicht nur DNA , sondern auch eine Seele hatten.
»Wir warten«, wiederholte Zirner ruhig und lächelte den Spurensicherer dabei kalt an. Der nuschelte einen Fluch in sich hinein und trottete vor die Tür. Draußen würde er seinem Unmut bei den Kollegen Luft machen, das war gewiss. Zirner wusste aber auch, dass der Groll des Spurensicherer sich nicht gegen ihn richten würde, sondern gegen Valentina, weil man auf die Gnädigste zu warten hatte.
* * *
Sie wusste, dass die Kollegen die Nase rümpften, weil sie auf den Dienstwagen verzichtete und alle Strecken innerhalb der Stadt mit ihrem Mountainbike zurücklegte. Oftmals war sie damit sogar schneller als die Polizeiautos mit Sirene, und das fuchste die Lästerer.
Valentina liebte ihr altes Brodie, das vor Jahren auf der Wache als gestohlen gemeldet worden war. Da hatte sie noch Dienst in Favoriten geschoben. Sie selbst hatte es anschließend bei zwei kleinen Dieben gefunden, als die es eben mit kackbrauner Farbe unkenntlich machten. Der ursprüngliche Besitzer hatte das Rad daraufhin nicht mehr haben wollen, hatte er sich dieses edle Teil doch in einem schneidigen Metallicblau gekauft. So war es auf der Wache zurückgeblieben. Seither fuhr es Valentina. Anfangs hatte sie daran gedacht, die beschissene Farbe runterzukratzen und den Rahmen sandstrahlen und neu lackieren zu lassen. Aber dann hatte sie sich doch dagegen entschieden. So würde es ihr niemand stehlen. Und je länger sie es fuhr, desto mehr gewöhnte sie sich nicht nur an das Kackbraun, sie freute sich sogar daran. Sie fand, dass das Rad zu ihr passte. Alle lachten darüber, unterschätzten es, aber der Drahtesel war ein verkappter Ferrari. So wie sie selbst auch. Valentina wusste, wie gut sie aussah, aber sie trug Trekking- und Armeeklamotten, die ihre Kurven verbargen, scherte sich einen feuchten Dreck, ob ihre Frisur saß, und verweigerte sich vehement Pumps, tief ausgeschnittenen Kleidern, kurzen Röcken und Schminke. Ihre Eitelkeit lag in einem Mega-Understatement, und das ließ sie nicht nur bei den männlichen Kollegen arrogant wirken.
Kurz vor dem Schottentor musste sie scharf bremsen. Valentina fluchte über die ferngesteuerte Touristengruppe, riss den Lenker herum und fuhr ein Stück auf der Ringstraße entlang, ehe sie wieder den Radweg nahm.
Sie überlegte kurz, welche Route sie einschlagen sollte, und entschied sich dann, am Augarten vorbei die Floridsdorfer Brücke anzusteuern und sich dem starken Autoverkehr der Brünner Straße zu stellen.
Sie umkurvte die Straßenbahnlinie vor der Brücke und schaltete hinunter, um beim Anstieg den Fluss nicht zu verlieren. Eine Melodie kam ihr in den Sinn, sie begann sie zu summen und setzte Wörter darauf:
»Von der Floridsdorfer
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