Saupech (German Edition)
konnte. Daher wurde er aufgefordert, sie am nächsten Tag auf die Wachstube zu bringen.
»Haben Sie schon versucht, Ihre Tante auf dem Handy zu erreichen?«, fragte einer der Beamten.
»Selbstverständlich, mehrfach. Aber ich komme immer nur auf die Mobilbox.«
»Gut, Frau Schneider. Wir setzen uns jetzt mit der Polizei vor Ort in Verbindung. Die sollen einen Wagen rausschicken. Vielleicht finden sie Ihre Tante dort, wo die anderen Teilnehmer sie zum letzten Mal gesehen haben. Mehr können wir heute auch nicht tun.«
»Und wenn die sie nicht finden?«
»Dann versuchen wir ihr Handy zu orten. Und wenn das auch nichts bringt, dann starten wir eine groß angelegte Suchaktion.«
Hoffentlich lebte ihre Tante Leni dann noch. Agnes sorgte sich um ihre Tante. Ob es Sinn machte, dorthin zu fahren, wo man sie zuletzt gesehen hatte? Wohl kaum. Sie kannte die Gegend nicht, würde sich im Dunkeln höchstens selbst noch verirren, und wer wusste, ob ihr Handy dort überhaupt Empfang hatte. Und wenn ihre Tante in der Zwischenzeit anrief? Vielleicht war ihr schlecht geworden, und irgendwer hatte sie ins Krankenhaus gebracht.
Bedrückt fuhr Agnes Schneider in ihre Wohnung in Wien-Fünfhaus. Es war nicht gerade hilfreich für sie, dass Anselm seit einer Woche in der Antarktis unterwegs und nicht zu erreichen war. Sie musste warten, bis er von sich aus Kontakt aufnahm. Anselm war ihr fünf Jahre älterer Bruder. Abenteurer und »Privatgelehrter«. So nannte er sich selbst. In Wirklichkeit war er ein Bummelstudent gewesen, der hundert Sachen angefangen, aber nichts fertig gemacht hatte. Jetzt, mit fünfunddreißig, war er nach kurzer Ehe mit einer überdrehten Adeligen geschieden. Die einzigen Souvenirs, die ihm geblieben waren, waren Schulden und ihr Name, den er angenommen hatte. Er nannte sich jetzt Anselm de Bontemps. Was für ein Witz! Und nun hatte er sich auch noch diesen Einsatz am Südpol eingebrockt. Agnes zweifelte, ob er überhaupt eine Ahnung hatte, was ihn dort draußen im Eis erwartete.
Sie schob den Gedanken beiseite. Anselm war alt genug, um zu wissen, was er tat. Und wenn nicht, konnte sie ihm auch nicht helfen.
Sie musste sich jetzt darum kümmern, Tante Leni zu finden.
2
Dorothea Wiltzing war mit ihrem heißen Eisen unterwegs. Ihre Kawasaki war seit ein paar Jahren ihr absoluter Freizeitspaß. Ein nie gekanntes Gefühl der Freude und Freiheit hatte sie von der ersten Ausfahrt an erfüllt, wenn sie mit ihrer Kawa unterwegs war.
Sie wohnte gern in ihrem kleinen Dorf. Markt Buchau lag so wunderschön. Auf einer Hochebene, mit einem Ausblick weit ins Land. Mit den Bergen Hochwechsel, Hohe Wand und Schneeberg in Sichtweite, die bis in den späten Frühling mit Schneehäubchen grüßten. Das Dorf war umgeben von Wiesen, Äckern und Wäldern, und hier war die Natur noch weitestgehend unberührt. Keine Industriebetriebe in der Nähe, wunderbare Luft, gesunde Bäume im Wald. Pflanzen und Tiere, die sonst so gut wie ausgestorben waren, fanden sich hier noch zahlreich. Dorli war auch stolz auf all die alten Bräuche, die ihr früherer Chef, der Altbürgermeister, wieder hatte aufleben lassen. Und doch: Mit ihrem Motorrad konnte sie für Stunden dem kleindörflerischen Mief, der halt auch immer in Gemeinden herrschte, wo jeder mit jedem irgendwie verwandt war, entkommen. Das war für Dorli eine ganz neue Erfahrung und Glück pur gewesen. Bis heute hatte sich daran nichts geändert.
Aber was war das für ein Aufsehen, als die Leute in Buchau mitgekriegt hatten, dass »der Halbstarke«, der da gelegentlich mit Vollvisierhelm durch den Ort brauste, sie auf ihrem Motorrad war. Sie hatte sich anlässlich ihres dreiunddreißigsten Geburtstages einen lang gehegten Traum erfüllt. Eine Kawasaki 750, tiefergelegt und mit einer abgepolsterten Bank. Die Maschine hatte sie sehr günstig erworben von einer jungen Frau, die sie zwar schon zwei Jahre lang besessen hatte, jedoch kaum damit gefahren war. Sie hatte den Motorradschein nur ihrem Freund zuliebe gemacht. Aber sie fürchtete sich vor dem Fahren. Inzwischen war der Freund ihr Exfreund, und sie hatte das ungeliebte Trumm so schnell wie möglich loswerden wollen.
Wochenlang hatte das Thema »Dorli und ihr Motorrad« den Stammtisch beim Kirchenwirt beherrscht. Der Altbürgermeister hatte ihr schmunzelnd so manches berichtet. Die freundlichsten Kommentare waren noch, dass es kein Wunder sei, dass so ein Mannweib keinen Ehemann abkriegte. Als hätte sie einen von denen auch nur
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