Saure Milch (German Edition)
Bluse.
»Abend.« Fannis Mann kam in die Küche. »Ich muss gleich wieder weg,
in fünf Minuten, keine Zeit für Abendbrot.« Er nahm einen der Golatschen von
der Platte und biss hinein.
»Warmer Hefeteig macht Blähungen«, murmelte Fanni und klappte
erleichtert die Tür des Vorratsschrankes zu.
»Schützenversammlung vorverlegt«, nuschelte ihr Mann kauend.
Hurra!, jubilierte Fanni heimlich hinter seinem Rücken.
Donnerstagabend, »Tatort« im WDR , ungestört! Preis
und Dank dem Vorstand des Schützenvereins!
Sie schlüpfte ins Wohnzimmer und schlug die Fernsehzeitung auf.
Kommissar Leitmayr, juhu! Udo Wachtveitl mochte Fanni gern, Manfred Krug konnte
sie nicht leiden. Redete immer mit vollem Mund, der Muffel.
»Was gewesen?«, mampfte Fannis Mann, als sie in die Küche zurückkam.
»Ein Kriminalkommissar hat mich vernommen«, sagte Fanni.
»Hast du dir selber eingebrockt«, rief ihr Mann auf dem Weg durch
den Flur über die Schulter. Dann fiel die Haustür ins Schloss.
Um Viertel vor zehn ließ Kommissar Leitmayr die Handschellen
klicken, Fanni schaltete den Fernsehapparat aus und ging ins Badezimmer. Wie
immer schaute sie aus dem Fenster über die Wiese zum Hof hinauf, während sie
langsam die Jalousie herunterließ. Wie immer sah sie Böckl mit seinem Hund im
Licht der Hoflampe. Aber Böckl und der Hund kamen nicht wie immer geradewegs
über die Wiese herunter, sie liefen im Zickzack. Fanni bremste die Jalousie auf
halber Höhe und sah ihnen zu.
Der Hund hatte die Nase am Boden, schien aber nicht konsequent einer
Spur zu folgen. Er rannte kreuz und quer, kam zu Böckl zurück, sprang an ihm
hoch, lief wieder weg. Sie erreichten Fannis Grundstück. Fanni ging hinaus.
»Fehlt dem Hund was?«
Böckl fuhr herum. »Meine Güte, Frau Rot, es ist schon nach zehn.«
»Eben«, sagte Fanni.
Böckl lachte. »Sie wissen doch, ich geh immer um diese Zeit noch
meine Runde mit dem Hund. Vor dem Einschlafen gehen wir Gassi, der Wolfi und
ich.«
»Und der Wolfi studiert nebenbei eine Zirkusnummer ein?«, fragte
Fanni.
»Na ja«, sagte Böckl, »mir ist vorhin auf der Wiese so eine Idee
gekommen. Praml hat mir nämlich heute Nachmittag erzählt, dass die Kripo nach
dem Stein sucht, mit dem die Mirza erschlagen worden ist, und dass der Stein
hier irgendwo herumliegen müsste. Da hab ich mir halt gedacht, ich könnte den
Wolfi mal auf die Spur von der Mirza setzen. An der Tatwaffe muss doch ihr
Geruch haften, hab ich mir überlegt. Ich bin also noch mal zum Hof zurück, hab
den Wolfi an Mirzas Stallschuhen schnüffeln lassen, und dann hab ich ihn
losgeschickt. Hat aber nichts gebracht, das ›Such, Wolfi, such, Wolfi, such‹.
Der Hund hat die ganze Zeit bloß die Spur von der Mirza selbst in der Nase
gehabt, und das hat uns auf Ihr Grundstück geführt. Tja, schade, also dann gute
Nacht, Frau Rot.«
3.
Fanni träumte von einem Hund in rosa Stöckelschuhen und
wachte am Morgen misslaunig auf. Sie wollte keine Irritationen in ihrem Leben
haben. Sie wollte sich mit einem »Tatort« am Abend und ein paar Kapiteln Ken
Follett am Nachmittag still durch die Jahreszeiten treiben lassen. Und sie
wollte sich keinen größeren Herausforderungen gegenübersehen als Marmelade
einkochen, Plätzchen backen und Müll trennen. Ihre Vorliebe für Kriminalfälle
beschränkte sich auf die fiktive Jagd nach einem fiktiven Mörder. Darin war Fanni richtig gut. Sie hatte
längst herausgefunden, dass sich in Agatha Christies Kriminalromanen immer
derjenige als Täter entpuppte, der das scheinbar solideste Alibi vorweisen
konnte. Auch beim »Tatort« kam Fanni den Kommissaren mit der Lösung des Falles
meist zuvor. Aber aus einem echten Mordfall wollte sich Fanni absolut
heraushalten.
Vor dreißig Jahren, an dem denkwürdigen Tag, an dem sich ihr
Lieblings-Luftschloss in eine Staubwolke verwandelte und davonflog, hatte sich
Fanni geschworen, ab sofort anspruchslos, bescheiden und nüchtern zu sein. Sie
hatte gelobt, sich künftig vollauf zufriedenzugeben: mit einem Leben in
Erlenweiler, mit der Hausarbeit – und mit Hans Rot. Fanni hatte ihren Eid
gehalten und sich an ihr Dasein gewöhnt.
Alles andere, sagte sie sich von Zeit zu Zeit, hätte ich sowieso
nicht gepackt. Die Falle, in die ich als Studentin gelaufen bin, kann ich als
Beweis dafür nehmen.
Während ihrer Schulzeit hatte Fanni von einer Karriere als brillante
Biologin geträumt. Die DNA , die das gesamte menschliche Erbgut
speichert (wie Fanni in der Oberstufe des
Weitere Kostenlose Bücher