Saure Milch (German Edition)
Schrödinger sein, so wie mein Bruder.«
Wohl nicht, dachte Fanni und warf einen Blick auf das Foto ihrer
drei Kinder, das auf dem Wandbord neben den Kochbüchern stand. Leo, blond, groß
und breitschultrig, grinste ihr entgegen.
Physiker und Mathematiker, cum laude in beiden Examen, IQ mindestens 150, ging es Fanni durch
den Kopf. Leo hat nur ganz wenige Gene von mir geerbt, das für Blond, das für
Eigenbrötelei und das für Darmträgheit. Alles Übrige hat er von seinem Vater.
Leos Vater hieß nicht Hans Rot.
Lenis Stimme lenkte Fanni von den Gedanken an ihren Sohn ab. »Ich
hab dem Böckl-Buben mal eine geschmiert, weil er den Bene Dorftrottel genannt
hat. Das war noch, bevor der Bello auf den Hof kam.«
»Hast du mir nie erzählt«, schmunzelte Fanni, »und der Böckl-Bub hat
sich das von dir gefallen lassen?«
»Mama«, lachte Leni, »ich bin fünf Jahre älter als der.« Dann wurde
sie ernst. »Ziemlich viel Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal mit dem Bene
geredet habe. Seine Mirza hab ich immer nur von Weitem gesehen, und dem Alten
bin ich schon eine Ewigkeit nicht mehr über den Weg gelaufen. Du sagst, dass
ihn alle hier für den Täter halten. Meinst du wirklich, er war’s?«
Fanni setzte gerade dazu an, ein weiteres Mal ihre Ansicht darüber
zum Besten zu geben, da sprang Leni von der Anrichte, auf der sie gesessen
hatte (ihr Lieblingsplatz seit Kindertagen).
»Ah, schon nach elf! Tom kommt um halb zwölf Uhr und holt mich ab.
Wir wollen auf den Arber, zu der Stelle beim Richard-Wagner-Kopf, wo kürzlich
der Totenschädel gefunden wurde.« Sie häufte sich drei Golatschen auf einen Teller
und schaltete die Espressomaschine ein.
»Thomas Zacher holt dich ab?«, fragte Fanni, und Leni nickte mit
vollen Backen.
Fanni stopfte den Brokkoli und die Karotten unsanft ins Gemüsefach.
Diesem Thomas Zacher traute sie nicht über den Weg. Zugegeben, er trat immer
höflich auf, gab sich respektvoll und gesittet. Hans Rot hielt große Stücke auf
ihn, weil Tom »Grüß Gott« sagte statt »Hallo«. Aber genau das hatte Fannis
Argwohn erregt. Das, der Jaguar und die Designerklamotten.
»Du hast doch davon gehört?«, fragte Leni. Der Teller war leer und
verschwand in der Spülmaschine.
»Wovon?«, gab Fanni zerstreut zurück.
»Von dem Totenschädel«, half Leni ihr auf die Sprünge. »Der Fall ist
inzwischen aufgeklärt, und weißt du, wodurch?«
»Genetischer Fingerabdruck«, riet Fanni.
Leni reckte den Daumen hoch. »Der Kandidat hat hundert Punkte!«
Fanni musste lachen. »Was hatte denn der Schädel auf dem Arbergipfel
zu schaffen?«, fragte sie.
»Er war unter ein paar Steinen verscharrt«, erklärte Leni. »Wanderer
haben ihn zufällig entdeckt und die Polizei verständigt.«
»Und jetzt hoffst du, auch ein paar Knochen zu finden?«, grinste
Fanni. »Könnte sich glatt zu einem Modehit entwickeln: Schädelsuche entlang der
Weltcupstrecke.«
»Erstens«, erklärte ihr Leni daraufhin, »wollte ich sowieso mal
wieder auf den Arber. Bodenmais, Rißlochfälle, Mittagsplatzl,
Richard-Wagner-Kopf, das sind achthundert Höhenmeter! Dürfte spät werden, bis
ich zurück bin.«
Fanni nickte und sagte: »Zweitens.«
»Ja, zweitens«, grinste Leni, »zweitens hatten wir diesen Schädel
bei uns im Labor.« Sie vergewisserte sich, dass Fanni gebührend beeindruckt
war, und fuhr dann fort: »Die Polizei konnte natürlich nicht einfach hergehen
und den Schädel am Friedhof bei den anonymen Toten begraben. In so einem Fall
sind Ermittlungen angesagt. Und die erste Frage lautet: Zu wem gehört dieser
Körperteil? Mit einer DNA -Analyse hat man ganz gute Karten,
das Rätsel irgendwann mal zu lösen.«
»Und ihr Laborratten habt es geschafft, aus den vergammelten Knochen
die DNS zu isolieren und einen genetischen
Fingerabdruck herzustellen?«
»Sowieso«, feixte Leni, »den eines Mannes. In der Zwischenzeit haben
die Kripoleute ihre Vermisstenkarteien durchforstet und sind auf eine
interessante Sache gestoßen. Es gab da einen verschollenen Mann aus Tschechien,
dessen Auto man eines Tages verlassen an der deutsch-tschechischen Grenze
gefunden hatte. Plötzlich ging’s ruck, zuck. Die von der Kripo haben uns einen
Pullover aus diesem Auto zur Vergleichsanalyse geschickt – und
Volltreffer! Daraufhin hat’s nicht mehr lange gedauert, bis aufgeklärt war,
dass der Mann von seinen Verwandten ermordet und am Arber verscharrt worden
ist. Sag mal, liest du keine Zeitung?«
»Manchmal entgeht mir halt
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