Saure Milch (German Edition)
was«, meinte Fanni.
Leni lachte sich schlapp. »Dir ist ja auch entgangen«, prustete sie,
»dass Papa im vergangen Jahr zweimal eine Schützenmeisterschaft gewonnen hat.«
Fanni zuckte die Schultern. Den Sportteil der Zeitung überblätterte
sie grundsätzlich, Vereinsnachrichten interessierten sie nicht die Bohne, und
alle Seiten mit der Überschrift »Lokales« tat sie ziemlich flüchtig ab. Den
Rest, mit Ausnahme des Feuilletons, sah sie hauptsächlich deswegen durch, weil
sie es für ihre Pflicht hielt. Recht konzentriert ging sie dabei nicht vor.
»Muss der Tote nicht etliche Jahre da oben begraben gelegen haben«,
fragte sie, »um so weit zu verwesen, dass nur noch Knochen von ihm übrig
geblieben sind?«
Leni zuckte die Schultern. »Zwei oder drei.«
»Erstaunlich«, sagte Fanni, während sie Äpfel und Bananen in einer
Schale anrichtete, »wirklich erstaunlich, wie lange sich die DNA in einem toten Gewebe noch hält.«
»Drei Jahre sind gar nichts«, entgegnete Leni. »Einzig und allein
ein DNA -Test hat letztendlich ans Licht
gebracht, dass die Frau, die sich ein Leben lang als Zarentochter Anastasia
ausgegeben hat, eine Hochstaplerin war. Ihr Bandenmuster wurde mit dem der
Zarenfamilie Romanow verglichen, und wie lange waren da die Romanows schon tot?
Achtzig Jahre mindestens.«
»Unzerstörbar, diese DNA «, murmelte Fanni.
»Gar nicht«, widersprach Leni, »sie ist sogar sehr empfindlich.
Bakterien können sie flugs zersetzen, Verschmutzungen können sie unbrauchbar
machen. Im Knochen ist sie zum Glück gut geschützt.«
»Wie kriegt ihr sie denn aus den Knochen heraus?«, fragte Fanni.
Vor dem Küchenfenster kam ein gelber Jaguar zum Stehen. Leni wandte
sich zur Tür.
»Probe in Detergens einweichen«, rief sie zurück, »Gewebe quillt
auf. Durch Zerreiben Zellwände aufbrechen. DNA liegt
jetzt frei. Filtern. Ethanol zugeben, das sondert die DNA -Stränge
aus, trennt die übrigen Zellbestandteile ab und entzieht der DNA die Wassermoleküle. Bingo, die Chromosomen sind
geschnappt.«
Sie winkte und flog davon. Fanni sah sie zwei Sekunden später auf
die Straße treten. In einer Hand trug sie ihre Wanderschuhe, in der anderen hielt
sie den Rucksack. Thomas nahm ihr beides ab und versuchte, das Gepäck in einem
Witz von Kofferraum zu verstauen. Als er sich bückte, konnte Fanni quer über
seinem Rücken »Chiemsee« lesen. Leni stand neben der Beifahrertür, lächelte und
zwinkerte zu Fanni hinauf. Thomas bemerkte es und machte eine kleine Verneigung
in Richtung Küchenfenster. Dann stiegen sie ein. Fanni hätte auf die roten
Ledersitze kotzen mögen.
4.
Der Tag nach dem Verbrechen an Mirza Klein – es war
Freitag, der 10. Juni, Mirza war
am 9. gestorben –
verging recht still in Erlenweiler. Keine Polizisten mehr, keine
Kriminalbeamten, die in Fannis Garten herumstocherten. Nicht einmal die
Nachbarn standen auf der Straße und tratschten, weil der Fall für sie längst
geklärt war. Man wartete nur noch darauf, dass der alte Klein hinter Gitter
kam. Aber die Behörden ließen sich Zeit. »Kennt man ja«, sagte Herr Meiser.
Soweit Fanni vom Badezimmerfenster aus sehen konnte, werkelten Bene
und sein Vater auf dem Hof, als sei Mirza bloß kurz zum Einkaufen in die Stadt
gefahren.
Als Fanni am Nachmittag die verwelkten Pfingstrosen neben der Garage
abschnitt, kam Böckl wieder über die Wiese herunter. Der Hund galoppierte zu
Fannis Komposthaufen und schnüffelte dort herum.
»Hält sich recht tapfer, der Bene«, sagte Böckl. »Ob er wohl ganz
begriffen hat, dass Mirza nie wieder kommt?«
»Ich glaub schon«, meinte Fanni. »Der Bene hat ja bereits Erfahrung
mit dem Tod: seine Mutter, sein Bello …«
Böckl nickte. »Und was soll werden, wenn sie den Alten verhaften?«
Fanni schwieg und verflocht krampfhaft ihre Finger. Böckl schien zu
merken, dass sie dieses bittere Szenarium nicht vor Augen haben wollte, denn er
sprach schnell weiter. »Eigentlich glaube ich nicht, dass der Alte die Mirza
erschlagen hat, das hätte er dem Bene niemals angetan.«
Schau an, dachte Fanni, ich stehe ja gar nicht komplett allein da
mit meiner Meinung.
Bevor sie den Mund aufmachen konnte, pfiff Böckl seinem Wolfi, der
an den verzahnten Holzlatten hochsprang, die Fannis Komposthaufen einfassten. »Haben
Sie da ein Filetstück vergraben, Frau Rot?«, grinste er im Weitergehen. »Wolfi
wollte gestern Abend schon reinklettern.«
Böckl trollte sich samt seinem Hund, und wenig später ging Fanni
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