Savannah
hat ein Händchen dafür, sich um verlorene Schafe zu kümmern. Sie haben es ja sicher schon bemerkt, dass wir mehrere heimatlose Streuner bei uns aufgenommen haben.«
Savannah ließ sich auf die Bank an einen Tisch sinken, stützte die Ellbogen auf und legte ihr Gesicht in ihre Hände. »Emma und der Junge? Wie war doch gleich sein Name? Toby?«
Jacob nickte. »Genau, Toby. Emma würde ich allerdings nicht als heimatlose Streunerin bezeichnen, denn Trey und Rachel haben das Kind sehr lieb. Nein, Emma wohnt ja auch nur vorübergehend bei uns, nur so lange, bis das Haus ihrer Eltern fertig ist. Aber Toby lebte wirklich mutterseelenallein in der Wildnis, bis wir ihn hier bei uns in der Station aufgenommen haben. Und dann ist da ja auch noch Christabel - sie ist heute mit meiner Miss June unterwegs, um nach ihrer Granny zu sehen, die mal wieder von ihrem Rheuma geplagt wird. Christabel hat einen verkrüppelten Fuß, aber ein Herz, das größer als sie selbst ist. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Sie sich wegen Miss Miranda und ihrem Baby zu große Sorgen machen müssen.«
»Ja, wollen Sie damit sagen, dass sie die beiden einfach hier wohnen lassen wollen und sie mit Essen und Trinken versorgen werden?«
»Ich wüsste nicht, was wir sonst tun sollten. Wir können Sie kaum einfach auf die Straße setzen.«
Savannah wischte sich schnell die Augen mit dem Handrücken ab, denn die Herzlichkeit und das Mitgefühl dieses Mannes beeindruckten sie. In ihrem Leben war ihr nur selten echte Hilfsbereitschaft begegnet und sie hatte fast schon die Hoffnung aufgegeben, dass es so etwas noch gab. Und nachdem sie immer wieder die traurige Erfahrung gemacht hatte, dass die meisten Menschen sie nur ausnutzten, dass sie gerne nahmen, aber nie bereit waren, selbst einmal etwas zu geben, hatte sie ihre Gefühle tief in sich begraben, denn es schien ihr besser, wenn sie sich nicht zu sehr für einen anderen Menschen oder für eine gute Sache engagierte. »Danke, Mr. McCaffrey«, sagte sie schniefend und wischte sich erneut über die Augen. Sie war einfach nur müde von der Reise, sagte sie sich, weil sie sich nicht eingestehen wollte, dass sie von Mr. McCaffreys Reaktion so tief beeindruckt war.
»Sagen Sie doch bitte Jacob zu mir«, bat er und lächelte dabei schwach. Savannah kannte den Mann ja erst kurz, aber so viel war ihr schon klar, dass es eine ganz besondere Ehre war, wenn er einen anderen Menschen mit einem Lächeln bedachte.
Sie streckte ihre Hand aus und nickte. »Dann müssen Sie aber Savannah zu mir sagen.«
Er legte seine Pfeife auf dem Kaminsims ab, kam zu ihr an den Tisch und setzte sich ihr auf die Bank gegenüber. »Sie sehen eigentlich gar nicht wie eine Barfrau aus«, meinte er. »Eher wie eine Lehrerin oder die Frau, die einem vornehmen großen Haus vorsteht.«
Wenn jemand anderes so eine Bemerkung gemacht hätte, hätte Savannah wahrscheinlich sofort eine böse Absicht dahinter vermutet, aber bei Jacob McCaffrey war sie ganz sicher, dass er sie nicht aus Neugierde ausfragen und aus der Reserve locken wollte. Er war eine ehrliche Haut und meinte, das, was er sagte. Sie seufzte tief. »Ach, Jacob«, meinte sie, »das ist eine lange Geschichte und ich bin nicht sicher, dass ich schon so weit bin, darüber offen zu sprechen.«
»In Ordnung«, antwortete er ruhig. »Wir tragen alle unsere größeren oder kleinen Geheimnisse mit uns herum.« In diesem Moment wurde die Tür der Station geöffnet und ein Schatten fiel in den Raum.
Dr. Parrish trat durch die Tür, die er hinter sich wieder schloss. Er war nüchtern, aber er sah nicht besser aus als zuvor. Welche Geheimnisse hatte dieser Mann, fragte Savannah sich stumm. Welche Skandale, welche Probleme hatten ihn zu dem gemacht, was er heute war?
2
In dem flackernden Schein des Kaminfeuers wirkte Savannah Rigbey eher wie ein feenhafter Engel, als das, was sie - wie Pres - wusste, war: eine Barfrau nämlich - und vielleicht noch etwas ganz anderes. Jetzt sah sie wie eine ganz normale ehrbare Frau aus. Sie hatte sich während der Geburt wacker gehalten. Es war eine schwierige Sache gewesen - jedoch nichts im Vergleich zu dem, was er in der Vergangenheit miterlebt hatte. Er hatte gemerkt, wie sich ihre Gesichtsfarbe geändert hatte und wie sie immer wieder entschlossen die Schultern gestrafft und ihr Kinn energisch gereckt hatte. Aber jedes Mal, wenn das Mädchen Miranda aufgeschrien hatte, war Savannah zusammengezuckt, als müsste sie selbst die Schmerzen der
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