Savoir-vivre mit Hindernissen
Zimmerwechsel. Anja kümmert sich um die Bettwäsche und ich mich um die Gäste. Diese Arbeitsteilung habe ich meinen besseren Französisch Kenntnissen zu verdanken. Chris und Nicole machen bereits die dritte Woche nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus in Familie. Es gibt keinerlei Anzeichen, wann sie beabsichtigen, zur Arbeit zurückzukehren. Sind sie wirklich nur Traumtänzer oder einfach nur abgebrüht?
»Pfingsten bin ich weg«, sagt Anja. Natürlich braucht Gerald ihre Hilfe in der Alten Mühle. Und auch ich habe keinen dauerhaften Job gesucht.
»Miller. Jonathan Miller«, stellt sich ein einzelner Herr an der Rezeption vor.
»Sie dürfen gern Deutsch mit mir sprechen«, enttarne ich den neuen Gast. »Miller oder doch Müller?«, lache ich ihn an. Er grinst zurück und wiederholt seinen Namen.
»Nein, schöne Frau. Ich heiße wirklich Jonathan Miller.«
»Sie haben Glück. Für Sie ist die Lavendel Suite reserviert. Nach meinem Geschmack ist es die schönste Suite im ganzen Haus. Herzlich Willkommen und einen angenehmen Aufenthalt.«
»Jackson« rufe ich durch den Garten und entdecke ihn mal wieder bei Gästen, wie er sie am Tisch anbettelt.
»Entschuldigung, Herr Miller. Jackson ist noch ein Baby und gehorcht mir noch nicht. Ich hoffe, Sie fühlten sich nicht belästigt.« Wieder empfange ich sein freundliches Grinsen.
»Dieser sympathische Bursche gehört zu Ihnen? Darf ich sagen, dass Sie beide ein schönes Paar abgeben?«
Upps? War das ein Kompliment? Wow. Lange keins bekommen und trotzdem nicht rot geworden. Und dann auch noch von so einem Jüngling. Älter als mein Sohn Julian aber deutlich jünger als Martin, der Treulose.
»Sie arbeiten? Bei diesem schönen Wetter sollten Sie den Tag besser genießen«, sage ich, als mein Blick auf sein Notebook fällt. »Gehören Sie etwa auch der unverbesserlichen Spezies an, die im Urlaub nicht abschalten kann?«
»Ich bin zum Arbeiten hier. Die Hoffnung, dass der Süden mir hilft, meine Schreibblockade zu lösen, war leider nur Wunschdenken.«
»Sie sind Schriftsteller? Was schreiben Sie?«
»Zur Zeit an einem zeitgenössischen Roman über die Freundschaft dreier Frauen. Aber ich komme einfach nicht weiter.«
»Vielleicht liegt es daran, dass drei Frauen niemals gleich eng befreundet sein können. Schon mal vom dritten Rad am Wagen gehört?«, lache ich und räume seinen Tisch ab.
»Noch einen Kaffee?« Miller nickt und ich rufe Jackson zu mir.
Miller ist bestimmt zehn Jahre jünger als ich, aber ich spüre sofort, dass er einer neuen Generation angehört. Ja, er ist charmant und teuflisch gut aussehend. Und dabei frech zugleich. Er duzt mich und findet, dass sich Leute in unserem Alter nicht mit Förmlichkeiten aufhalten sollten. Er ist mit seiner Unterkunft nicht zufrieden. Der Service ist brillant, gibt er zu, und meint damit mich persönlich, allerdings hätte sein Verlag ihm auch gern eine Unterkunft in der Nähe vom Meer besorgen können.
»Sonst hätte ich auch in meinem Garten in Frankfurt weiter schreiben können. Keine Ahnung, wie ich hier die Geschichte in zwei Wochen beenden soll. Nichts fällt mir ein. Rein gar nichts.«
»Die offene See würde dir also Inspiration bringen? Dann komme mit mir nach Bandol. Wir holen die Yacht meines Mannes ab und segeln sie hierher zu unserem neuen Liegeplatz. So schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Du bekommst den Kopf frei und Martin kann gleich von hier aus in See stechen. Kannst du segeln? Oder wenigstens schwimmen?« Wieder lachen mich seine unverschämt glühenden Augen an.
»Ich habe Seepferdchen. Brauchst du Beweise? Dann rufe ich meine Mutti an und bitte sie, mir meine Badehose mit dem Abzeichen zu schicken.«
Ich glaube ihm auch so. Können diese Augen lügen?
Er bittet mich, ihm mehr von mir zu erzählen. Auf keinen Fall. Schließlich will ich meine Lebensgeschichte nicht in einem Schundroman von Jonathan Miller lesen wollen.
»Einige meiner Bücher wurden bereits verfilmt«, prahlt er. Ach du meine Güte. Ich sehe mich schon in den Fernseher starren und erkenne die ehemals füllige und durch Wheight Watchers erschlankte Christine Neubauer, die die Rolle der Charlotte Talbach spielt. Mir fällt gerade keine andere deutsche Filmproduktion ein, in der sie nicht die Hauptrolle spielt. Ich sehe, wie sie Marmelade kocht und in ihrer immer gleichen Art zu blicken zu den Nebendarstellern
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