Savoir-vivre mit Hindernissen
spricht. Allerdings redet sie nicht wie ich, sondern sie krächzt in ihrer heiseren, dünnen Stimmlage. Vielleicht sollte sie mal eine Drehpause einlegen und ihre Stimmbänder schonen und anderen talentierten Schauspielerinnen den Vorzug lassen. Ich will auf keinen Fall von Christine Neubauer dargestellt werden und ich weigere mich, Jonathan meine Lebensgeschichte zu erzählen. Auch wenn sie noch so filmreif ist.
Wir fahren mit dem Bus nach Bandol. Das ist auch für mich eine Premiere, wenn auch ohne Sushi. Jon, wie ich ihn nenne, hat eine Thermoskanne dabei. Ich eine Flasche Wasser. Sein Heißgetränk ist mit Cognac gemischt. Ich schätze nach dem ersten Schluck auf 50:50.
»Ich muss noch ans Steuer!«, lache ich zu ihm herüber.
»Spaßbremse«, nennt er mich, nachdem ich seine Mischung mit meinem Wasser verdünne.
»Das ist dein Boot? Du hast ja schamlos untertrieben, Lotte. Das ist eine fette Yacht. Du scheinst ja richtig viel Schotter zu haben.«
»Sie gehört meinem Mann. Nicht mir!«
»Sag bloß du gehörst der Minderheit von Frauen an, die ihren reichen Knacker nur aus reiner Liebe geheiratet haben? Wie alt ist er? Besteht Hoffnung, dass du ihn bald beerbst?«
»Ich muss dich auf ganzer Linie enttäuschen. Martin und ich sind nicht verheiratet, wir beide sind im selben Alter und beerben werde ich ihn auch nicht.«
»Schade, Lotte. Damit bist du raus aus dem Rennen. Dann kann ich dir leider nur Freundschaft anbieten.« Schon wieder muss ich über ihn lachen.
»Statt nach reichen Witwen Ausschau zu halten, solltest du dich besser um dein Buch kümmern. Wann genau musst du es abgeben?«
»Anja meint, ich sollte besser eine Geschichte über Männerfreundschaften schreiben, weil ich von Frauen null Ahnung habe.« Ja, das klingt nach meiner Freundin. Unverblümt und erschreckend direkt.
»Sie durfte dein Manuskript lesen?« Jon nickt und streckt seinen Kopf mit geschlossenen Augen in die Sonne. Er atmet die frische Seeluft tief ein und aus.
Seinen Wunsch, der Segeltrip möge nie enden, kann ich ihm nicht erfüllen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir endlich den Hafen. Es ist schon fast acht Uhr, als wir die Yacht an ihrem neuen Liegeplatz festmachen. Zu spät für ein Abendessen im Hotel.
»Aber nicht zu spät für ein Glas Wein und ein Stück Käse auf meiner Terrasse.«
Wir nehmen ein Taxi vom Hafen und lassen uns zum Hotel fahren. Mit Jackson und dem Manuskript in der Hand machen wir uns auf den Weg zum Haus. Es ist stockdunkel und ich ärgere mich, dass ich keine Taschenlampe dabei habe. Vorsichtig tasten wir uns vor, bis uns der Schein meiner Außenlaterne die Richtung weist.
»Hast du gar keine Angst hier allein im Haus?«
»Nö, wer sollte mir alten Schachtel schon was tun?«
»Es gibt viele Männer, die stehen auf antik. Ich gehöre auch dazu.«
»Antik?«, lache ich laut aus. »Beschreibst du deine Protagonistinnen in deinem Buch etwa auf die gleiche Art und Weise? Dann wundert mich Anjas vernichtendes Urteil wirklich nicht.«
»Doch, genau so! Selma ist der Typ Jugendstil , Carol der Typ Renaissance und Vicky der Typ Rokoko .«
»Und was für ein Typ bin ich in deinen Augen?«
»Eindeutig klassische Moderne .«
Während ich noch überlege, ob das gut oder schlecht ist, wandert Jon durch den Wohnbereich.
»Verdammt nett hast du es hier.«
»Rot oder weiß zum Käse?«
»Lieber Weißwein. Von Rotwein werde ich immer gleich müde. Oder willst du mich hier übernachten lassen?« Jetzt wird er zu frech.
»Auf dich wartet ein Bett im Lavendelzimmer. Also fang endlich an zu lesen. Ich bin gespannt.« Ständig muss ich kichern. Sein Schreibstil ist genauso unverschämt und amüsant, wie er selbst. So langsam wird mir kalt und ich bitte ihn, nachzuschenken, während ich mir eine Strickjacke aus dem Schlafzimmer hole. Ich öffne die Tür, knipse das Licht an und gehe zielgerichtet zum Schrank, als mich eine Stimme zu Tode erschreckt.
»Amüsierst du dich gut?«
»Martin? Willst du mich umbringen? Warum versteckst du dich hier im Schlafzimmer?« Mein Herz rast noch immer und klopft laut in meinem Hals.
»Wann bist du gekommen? Weshalb hast du nicht Bescheid gesagt? Wieso jagst du mir einen solchen Schrecken ein? Warum versteckst du dich hier?«
»Das waren viele Fragen mit W. Ich habe auch zwei Fragen an dich. Wer ist das und was hat er hier zu
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