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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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man ordentlich aufs Kreuz legen, und er kann Gott danken, wenn er ihn wenigstens so kennenlernt. Gewalt gehört zur Passion. Kommt sie herunter, weil Leben und Liebe abgezogen sind, sieht sie aus wie Philipp von Sax im Glaskasten. Da ist er als totes Ende zu besichtigen, denn einer, der nicht recht geworden ist, der vergeht auch nicht recht. So einer hätte wohl nötig gehabt, seinen Vater zu kennen, aber wer seine Mutter nicht kennenlernen will, weiß auch von seinem Vater nichts.
    Seine Mutter war fromm, soviel ich weiß, sagte Achermann. – Eine Reformierte. Regula Marbach.
    Soviel Sie wissen, sagte Gregor. – Sie okulierte alle Schwächen des Stammes mit dem Reis der Selbstgerechtigkeit, und daraus wurde ein Spaltpilz, der ihn verrotten ließ. Philipp wäre besser Junggeselle geblieben. Statt dessen suchte er sich eine Frau nach dem Katalog, natürlich mußte es dann die schönste und beste sein – und die reichste dazu.
    Welchem Katalog?
    Sie haben auch darin geblättert und sind auf die gleiche Frau gestoßen.
Gestoßen
, Achermann – genauso unschicklich, wie das klingt, kam es heraus. Sonst immer von des Gedankens Blässe angekränkelt – diesmal haben Sie nicht gefackelt, das muß man Ihnen lassen. Doch ohne Ihnen nahetreten zu wollen: sie trieb es mit jedem. Was Verschwenden heißt, lernte ich von ihr.
    Sie haben Ihre Mutter geschändet? sagte Achermann. Geschändet? fragte die schrille Stimme. – Die Leute nannten es nicht so. Der Landesherr nimmt nur Rechte wahr. Und ich war ein gnädiger Herr. Man wußte zu schätzen, daß bloß Weiber meine Strenge zu fühlen bekamen, und das an einer Stelle, wo sie ihnen nicht unwillkommen ist. Das Schlimmste, was passieren konnte, war ein Kind. Kaum eins, dem ich nicht hinterher zu Gevatter gestanden hätte. So gibt man sich aus, und am Ende muß man den Bettel sausen lassen, als Letzter des Geschlechts. Aber da das Geschlecht zugleich mein Bestes war, habe ich ein Völklein von Saxen hinterlassen – wer weiß, ob es nicht eines Tages die Erde besitzt! Jedenfalls spotten die Familiengene der Analyse. Als die Herren Forscher Speichelabstriche von hundert eingesessenen Familien nahmen, stellten sie eine hohe Übereinstimmung der genetischen Codes fest. Inzucht, meinen sie. Der saxische Fingerabdruck, sage ich. Der Finger dazu kann sich immer noch sehen lassen.
    Achermann stand auf. Die Pokale im Fenster waren dem örtlichen Sportclub für immer dieselben Sportarten verliehen worden, Seilziehen und Unihockey.
    Wenn sich Sie recht verstehe, ist Herr Diebold Ihr Vater, und Sie vertreten ihn.
    Treten, vertreten, sagte der Mann, man vertritt sich die Füße. Aber einen Menschen? Jedenfalls hat er Sie meiner Mutter zugeführt und läßt Sie glauben, Sie hätten ihr ein Kind gemacht.
    Warum sollte er das tun? fragte Achermann. – Und warum will er sich von ihr scheiden? Und warum soll ausgerechnet ich sein Anwalt sein?
    Vielleicht glaubt er, Sie wüßten am besten, wovon er redet. Undniemand könne seine Sache besser führen als ein Schuldiger –
nur
ein Schuldiger könne sie führen.
    Schuldig wessen? fragte Achermann. – Er hat mich ja geradezu eingeladen.
    Natürlich erpreßt er Sie. Er zieht sein Gift aus dem Spaß, den Sie an der Adriana gehabt haben. Er vergällt ihn. Er zwingt Sie, sich an seine Stelle zu setzen. Er verurteilt Sie dazu, vor Gericht sein Anwalt zu sein. Dabei ist seine Askese nicht freiwillig. Adriana läßt ihn gar nicht mehr drüber. Welche Frau will eine Hündin vertreten?
    Er hat sie selbst als Hündin bezeichnet, sagte Achermann.
    Gregor schnaubte durch die Nase. – Mama ist durchaus wählerisch. Unterstellten Sie etwas anderes, müßten Sie gering von sich selbst denken. Mama hat in ihrem Märchenbuch gerade Sie ausgesucht, keinen andern.
    Eben haben Sie es noch einen Katalog genannt, sagte Achermann.
    Wer Sex kaufen will, für den ist es ein Katalog. Wer es nicht ohne Romanze tut, für den ist es eine Liederhandschrift. Meine Mutter wollte etwas erleben. Ein Mönchlein hatte sie noch nie vernascht.
    Woher wollen Sie das alles wissen? fragte Achermann.
    Ihr Argwohn trifft zu, wie immer. Aber wirklich befriedigt habe ich Mütterchen nur ein einziges Mal: als ich ihren Schoß verließ. Da ging ich ihr durch und durch. Jeder Seufzer hätte ihr letzter sein können. Der Rest blieb Getändel – was ist der stärkste Schwanz gegen einen Kindskopf? Und doch: wollen Sie den Namen hören, den ihr jeder Mann abpreßt, mühelos, in der Folter der

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