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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Lust? Hubert, seufzt sie. Huppert, ächzt sie. Hupp! schreit sie im Triumph der Lust. Wie soll einer das aushalten, der nicht Hubert heißt, Huppert oder Hupp?
    Achermann war errötet. Gregor benützte die schamlose Imitation eines weiblichen Orgasmus dazu, ihn zu verhöhnen. Zugleich demonstrierte er die Tiefe seines Elends.
    Ich betrachte jeden, der mit meiner Mutter verkehrt, als Bruder,dann bleibt es in der Familie. Zu duzen brauchen wir uns darum noch nicht.
    Gregor oder Herr Friderich, Existenz und Essenz. Was wollten Sie damit sagen?
    «Sagen» ist gut. Warum habe ich es herausschreien müssen, die halbe Nacht? Weil keiner hören wollte. Erst als ich sprang, wurden sie munter – und lächerlich.
    Wollten Sie sterben? fragte Achermann.
    Ich mußte
springen
. Alles Weitere ergab sich – Leben oder Tod. Das Zeichen war deutlich, schien mir, aber was wart ihr verhockt, liebe Brüder und Schwestern! Im Zimmer stand der blaue Dunst zum Schneiden dick – da wurde ich zum Messer. Zerschnitt den Vorhang. Teilte das Rote Meer. Die Augen sollten euch aufgehen. Und was habt ihr gesehen? Einen Mann im Baum, dem glücklicherweise nichts weiter passiert war.
    Was hätten wir sehen sollen? fragte Achermann.
    Den Ausweg aus den langen Märschen in eurem Kopf, sagte Gregor,
das Ende der Zeit
. Wurde sie etwa mitgeschaffen, als der himmlische Vater das Universum knallen ließ wie einen Champagnerkorken? Zeit heißt Unregelmäßigkeit, und die Himmelskörper benahmen sich vollständig regelmäßig, ein Perpetuum mobile – was gäben gewisse Leute darum, sie könnten das Patent kaufen! Doch Er hatte noch nicht genug. Ein Krümel Zeug war Ihm entfallen, Er hob ihn auf, mit der einzigen Absicht, keine zu haben, den Krümel zappeln zu lassen, selbsttätig – um zu sehen, was herauskommt.
Das
war der Grund zur Schöpfung: zuzusehen, was herauskam, wenn man die eigenen Gesetze außer Kraft setzte, aus Neugier, Vorwitz, Spieltrieb, Grausamkeit, was weiß ich. Wer kennt einen Vater! Und die armen Kreaturen, die er aus seinem Sinn entlassen und ihrem eigenen Unsinn überlassen hatte – was bildeten sie sich ein! Sogar: sie müßten ihn kennenlernen! Und was haben sie dabei gelernt? Daß sie nichts sind als das zufällige Produkt eines flüchtigen Wunsches nach Unverantwortlichkeit. Das kommt davon, wenn man der Absenz des großen Schöpfers einen Heilsplan unterlegt– der sich nur immer mehr verwirren kann, je klarer das arme Geschöpf im Kopf wird. Dann macht es am Leitfaden der Zeit, seines Hirngespinstes, eine selbständige Entwicklung für sich zurecht. Und nennt die unendliche Geschichte von Versuch und Irrtum Evolution – dabei hängt sie genauso in der Luft wie ihr selbst. Vielleicht fällt dabei ja doch noch ein Krönchen ab für den Froschkönig, genannt Homo sapiens, auch wenn’s aus Dreck und Scheiße ist – ein bißchen Krone der Schöpfung muß schon sein. Und die grünsten Frösche glauben dem Prozeß auch noch durch eine Revolution nachhelfen zu können, wie ihr im Theater und auf der Terrasse. Nur weil ihr selbst ein bißchen heiß wart, wolltet ihr die Eiserne Zeit schmieden. Aber sie blieb kalt, eiskalt, wie jedes leere Versteck.
    Ich habe euch zugesehen, stundenlang, ihr Zeitgenossen, ihr wart zum Schreien. Ihr wußtet alles, Klugscheißer, aber keiner wollte wissen, daß die Zeit selbst der Irrtum ist, den sie immerzu korrigieren möchte, evolutionär, revolutionär. Dabei waren Sie, Achermann, immer noch ein trauriges Bißchen gläubig. Das heißt, Sie wollten nicht glauben, daß aus der großen Abwesenheit Ihres Gottvaters längst eine unabsichtliche geworden ist. Die pure Vergeßlichkeit. Selbst wenn er wollte: einem Walzwerk wie der Zeit könnte er nicht in die Räder greifen, mit seinen von der Allmacht verfeinerten Fingern. Aber wahrlich, ich sage euch: er hat seinen Aussetzer längst vergessen. Und jetzt gehen Sie hin und machen sich daraus eine besonders subtile Art von Präsenz zurecht! Dabei seid ihr so was von egal! Gott weiß gar nicht mehr, wovon eure Schöpfung handelt, damit lebt mal schön, ihr Zeit-Genossen! Gibt es den Menschen noch? Gibt es ihn überhaupt, und wenn ja, was soll er? Das ist durchaus keine bange Frage der himmlischen Heerscharen, die foutieren sich ja so was um euch, und ich sage nur: ihr könnt von Glück reden!
    Und was können wir tun? fragte Achermann.
    Was tut jemand, der nicht weiß, was er soll? fragte Gregor schrill. – Aussteigen aus dem Wahn, es gehe aufwärts mit

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