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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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entfernt, zeigt sich ein doppeltes Gebäude, rechter Hand ein weißes Giebelhaus mit schwarz und orange geflammten Läden. Linker Hand lehnt es sich an das zweite Bauwerk wie an den eigenen vergrößerten Schatten, aber es ist ein Bunker, dessen Kanten schon verschliffen sind und dessen Krone zur Ruine zerfallen ist. Gras wächst darauf, ein einzelnes Baumgespenst.
    Die Gebäudegruppe ist sehr einsam; sie steht am Wasser, ohne sich darin zu spiegeln. Die Uferlinie wirkt wie ein Schnitt im waldigen Leib der Landschaft. Danach heiße der See «blind»,
Laj tschorv
bemerkte Gregor. Hier müsse man den Wagen stehenlassen, denn es führe nur ein Fußweg zum Herrenhaus. Wie spät war es wohl? Die Gegend wirkte erloschen, kein Gewässer war hörbar, kein Vogellaut, doch Achermann fragte nicht weiter und machte sich hinter Gregor, der einen Fuß nachzog, an die Umgehung des Sees, die länger dauerte als erwartet. Immer wieder verschwand das Doppelhaus hinter zederähnlichen Kiefern, die ausladende Äste weit über das Wasser hängen ließen.
    Das ist Aspermunt, sagte Gregor.
    Die Gegend schien für Vogelfreie wie geschaffen. Über dem barocken Portal war zu lesen:
    Höhen und Tiefen ebnet die Zeit / Werden-Vergehen ist Ewigkeit.
    Die Tür stand offen, sie betraten eine Diele, die an den Eingang zu einem Bergwerk erinnerte und von Neonlichtkeulen eher verdüstert als erhellt war. An den schwieligen Wänden dämmerten Truhen wie liegende Wächter, rechter Hand führte eine Treppe in die Höhe. Achermann folgte Gregor in einen getäfelten Vorraum, wo elektrische Kerzen den Schein von Wohnlichkeit verbreiteten. Die Wände waren mit Reh- und Hirschgeweihen bestückt, jedes mit einem Emailplättchen versehen, nur daß jeweils die ersten zweiZiffern der Jahresangabe fehlten. Unter einem geschwärzten Männerporträt führte die nächste Tür in einen Saal, an dessen Wänden wieder dasselbe Männerporträt hing, einmal nach links, einmal nach rechts gewendet, mit demselben gefältelten Mühlsteinkragen, auf dem das knebelbärtige Haupt schwebte wie auf einem Servierteller. In der linken Wand brannte ein Feuer, ohne zu wärmen; die Mitte des Saals nahm eine endlose Tafel ein, die nur im vordersten Teil gedeckt und mit dreiarmigen Leuchtern bestückt war, die hintere Hälfte lag im Halbdunkel. Doch ließen Messer und Scheren, Zangen und Skalpelle sowie Stöße gefalteten Tuchs an einen Operationstisch oder Kreißsaal denken.
    Vor der Hinterwand aber, unter einem gotischen Baldachin, deutete sich eine sitzende Gestalt an, die Achermann zuerst für eine Puppe hielt. Ihr Gesicht lag im Schatten einer Haube, die Teil eines blauen Überwurfs war. Unten erweiterte er sich, und die sich abzeichnenden Kanten ließen darauf schließen, daß er zugleich ein Möbel bedeckte. Fast sah es so aus, als entwachse eine erst teilweise vollendete Figur dem Block, aus dem sie geschnitzt war. Die Hände schienen den Mantel am Hals von innen zusammenzuhalten, auch die Füße blieben unter dem ausfließenden Tuch verborgen. Sichtbar war nur der Mund, der Achermann bekannt vorkam; er war leicht verzogen zu einem Lächeln, das er zuerst als schnöde betrachtete, doch konnte es auch Ausdruck einer Behinderung sein.
    Ist das meine Tochter? fragte er.
    Immer schön der Reihe nach, sagte Gregor, wer von der Tochter was will, wendet sich an die Mutter. Adriana, wenn ich bitten darf, Ihnen gewiß nicht unbekannt, sonst hätten Sie gar keine Tochter. Hoffentlich kennen Sie sie noch, Herr Doktor.
    Was tut sie hier? fragte Achermann.
    Sie sitzt auf dem Thron. Sie darf alles. Sie muß aber auch, und das kränkt sie. Sie will nicht müssen. Damit tyrannisiert sie uns, um das Ding beim Namen zu nennen. Was tun wir da, wir Männer? Flüstern Sie ihr was. Verfahren Sie. Alles Nötige liegt bereit.
    Er zeigte auf die Instrumente auf dem Tisch.
    Alles da, Schere, Stein, Papier. Schneiden, Schlagen, Einpacken, Sie haben es in der Hand.
    Wozu ist das Linnen gut? fragte Achermann und deutete auf die Stapel.
    Oh, das Linnen, sagte Gregor. – Linnen nennen Sie das. So stilvoll! Linnen, Leinwand, immer nützlich, immer zur Hand, von der Wiege bis zur Bahre. Was muß man nicht alles abwischen: Tränen, Rotz, Schweiß, Sperma. Womit trocknet man sich die Hände, wenn man sie in Unschuld gewaschen hat oder in Blut gebadet? Man bedeckt die eigene Blöße, man verbindet die Wunde des Nächsten. Man zieht es Toten übers Gesicht, damit es sich darauf abbilde. Aber man malt auch selbst

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