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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Höhen durch einen Scherenschnitt zu milden Schatten ihrer selbst geworden. Gleich war die Wasserscheide erreicht. Er erwartete den offenen Blick ins Rheintal.
    Statt dessen tauchte die fallende Straße in Nebel ein, der sich mit jeder Kurve dichter zusammenzog. Während die Bäume beiderseits heranrückten, versank die Fahrt in fast undurchsichtige Nacht. Im Licht der Scheinwerfer trieben die Schwaden so verwirrend, daß die Markierungen der Fahrbahn nur mit Mühe zu erkennen waren; kaum noch rollend suchte Achermann die rettende Linie. Und jetzt erschienen im Rückspiegel auch noch die Scheinwerfer eines Fahrzeugs, das dicht aufgerückt war. Überholen war unmöglich, dennoch drosselte er die Fahrt noch mehr und kroch am Rand, um den Dränger vorbeizulassen. Aber der begnügte sich damit, ihm auf den Fersen zu bleiben. Im Rückspiegel erkannte Achermann die silberne Kühlerfigur, das verschränkte doppelte R und einen Augenblick das Gesicht des indischen Fahrers, der ihnen in Shaidan zugeteilt worden war. Er war versucht anzuhalten, doch dann verbohrte er sich in die Weiterfahrt Schritt für Schritt; einmal mußte sich der Nebel lichten.
    Und wirklich, an der Spitze einer Haarnadelkurve breitete sich das Rheintal vor ihm aus, dessen Boden fast schon erreicht war. Vor ihm lag die Ebene übersichtlich, doch in einem trüben, wie erloschenen Licht. Auch die Straße ließ Raum zum Überholen, doch nun war hinter ihm kein Fahrzeug mehr zu sehen. Herz und Kopf hämmerten immer noch zum Zerspringen. Der Kirchturm unter ihm mußte schon derjenige von Grabs sein; Salez war nur noch ein kurzes Stück entfernt. Die Uhr zeigte halb zehn.
    Nicht viel später fuhr Achermann auf den Parkplatz hinter dem Gasthaus. Dann stand er fröstelnd vor dem eher unscheinbaren dreistöckigen Gebäude mit laubenartigem Umgang, zu schmal zum Sitzen. Dafür gab es vor dem Haus grobe Holztische und Bänke, diefest in den Boden eingelassen waren. Ihr Lackbraun hatte das Ordinäre eines Bahnhofimbisses und wirkte aufreizend verlassen.
    In der kleinen Gaststube saß nur ein ältliches Paar beim Milchkaffee und blätterte in Gratiszeitungen. Der Wirt hantierte am Tresen; Achermann bestellte Tee und fragte, ob sich ein Herr Dr. Diebold gemeldet habe. Der Name sagte dem Wirt nichts. Um so geläufiger war ihm derjenige Philipps von Hohensax. Das ZDF war ja hier gewesen, um seinen Totschlag am Originalschauplatz zu drehen. Der Wirt, ein melancholischer Spätvierziger, hatte den Mörder markiert. Die Szene war in einem ledergebundenen Gästebuch nachzulesen. Ein lokaler Chronist hatte auf dem ersten Dutzend Seiten die Geschichte des Wirtshauses in Zierschrift festgehalten, eingeschlossen ihren Höhepunkt am Maiengericht 1596.
    Philipp:
Laß mich ungheit, ich bin so gut ein Freiherr wie du!
    Ulrich Georg:
Ghei dich der Tüfel!
    Wahrscheinlich sei die Schädelwunde, die Philipp empfangen habe, noch nicht tödlich gewesen, ergänzte der Wirt. Der Stiefneffe könnte ihm eine Woche später auf Schloß Forsteck nachgestiegen sein, um diesmal ganze Arbeit zu leisten. Es gab am Hals der Mumie deutliche Spuren eines Seils. Vielleicht kämen sie aber auch daher, daß sie so lange im Kirchturm angebunden worden sei, zum Schutz vor Grabdieben.
    Die kleine Gaststube atmete die Dürftigkeit der Chipsbeutel und Fertigwürzen, die auf kahlen Tischen herumstanden, aber der Wirt war jetzt auch bereit, dem Gast die historische Trinkstube vorzuführen; sie sei leider nicht geheizt. Durchgebogene Balkenzüge trugen eine verrauchte Holzdecke; die Festpokale in den Fenster nischen, die Vitrinen mit alten Kränzen erinnerten an die Trophäensammlung von Vater Wirz. Sonst war der Raum leer. Aber saß da nicht doch einer, mit dem Rücken zu den Eingetretenen, und rührte sich nicht?
    Hallo, Herr Friedrich, sagte der Wirt, und deutete sich zugleich an die Stirn, wieder ein wenig Ausgang?
    Ich habe Sie erwartet, Herr Achermann, sagte der Mensch nichtlaut, doch mit durchdringender Stimme, und drehte sich um. Hubert erschrak. Gregor, der Baumspringer! Das Gesicht hatte kaum gealtert, nur war der damals kahle Schädel jetzt mit dünnen grauen Strähnen bedeckt.
    Ich bin mit Herrn Dr. Diebold verabredet, sagte Achermann.
    Nehmen Sie einstweilen mit mir vorlieb, sagte der Mann.
    Der Wirt sagte: Hoheit, ich glaube nicht, daß der Herr Zeit für Sie hat.
    Er wird sie sich nehmen, sagte Gregor. Er war es jetzt ganz unzweifelhaft. Der metallische Schrei hatte sich eingeprägt. Existenz vor

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