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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Essenz,
unbedingt
.
    Schon recht, sagte Achermann zum Wirt, geben Sie Bescheid, wenn Herr Diebold kommt. Ich setze mich so lange her und nähme jetzt auch einen Kaffee. Was darf er für Sie bringen, Gregor?
    Nichts, und das weiß er am besten, sagte der Angesprochene.
    Der Wirt entfernte sich achselzuckend, und als Achermann Platz nahm, stand ihm die stumme Fahrt an den oberen See wieder so lebhaft vor Augen, als wäre sie gestern gewesen. Gregor trug ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift: SUNNY, für die ungeheizte Gaststube eine zu leichte Bekleidung. Der Wirt brachte einen Kaffee mit Grappa. Als sie wieder allein waren, sagte Gregor:
    Das Wirtshaus war meins. Ich hab’s abgelassen, mit allen Gerechtigkeiten, Tachungen, Traufrecht, Nuot und Nagel, unter und ob Erden, Bäumen und Zäunen, für sage und schreibe achthundert Gulden. Dieser Wirt kriegt nichts mehr von mir.
    Wie war der Name? fragte Achermann. – Ich habe eben Friedrich gehört.
    Friderich, wenn schon. Ein Ludewig gehörte auch noch dazu, und die üblichen Titel. Muß nicht mehr sein. Nennen Sie mich Gregor, wenn Sie wollen.
    Aber Sie kennen Herrn Anastas Diebold, sagte Achermann.
    Diebold heißt hier jeder zweite. Jeden muß ich nicht kennen.
    Wer sind Sie denn, mit Verlaub? fragte Achermann.
    Können Sie nicht lesen?
Sunny
. Ich bin ein Söhnchen, reicht dasnicht? Mir reicht’s. Väter sind peinlich. Oder möchten Sie Vater sein?
    Ich habe einen Sohn, sagte Achermann. – Und von Herrn Diebold höre ich jetzt, daß ich auch eine Tochter habe.
    Diese Töchter des Landes! höhnte Gregor. – Ich kenne sie! Keine, die nicht versucht hat, mich zu vatern! Als man den schwarzen Ritter untersuchte, hat man ein wenig DNA abgeschabt, von den Zähnen, oder vom Sack – aber wenn die Katholen die Eier nicht als Reliquien ausgeführt haben, müssen sie taube Nüßchen geworden sein. Taugen nicht mehr für Doktorspiele. Die Forscher haben damals im halben Rheintal saxisches Erbgut gesucht, und wissen Sie, wo sie welches gefunden haben? Überall! Kein Schößchen weit und breit, das nicht einen Hohensax gewiegt hätte, erst als Männchen, dann als Kindchen. Saxe wurden gezapft wie frisches Bier, und ob die DNA reformiert oder katholisch schäumte, sie floß in Strömen. Ich bin dem Test ausgewichen. Wenn sich just bei Vaters Stammhalter keine Spur seines Saatguts gefunden hätte? Peinlich, peinlich! Ehre Vater und Mutter. Decke ihre kleine Blöße nicht auf. Bei Mütterchen kann man bekanntlich auf Sicher gehen –
mater semper certa
. Aber auch wenn die Adriana eine Brederode war, sie blieb ein Kriegskind. Und ihr Gatte ein Kriegsmann, wenigstens tat er so. War kaum je zu Hause. Und wenn weder Gott noch Gatte die Klage der Hausfrau hören, hört sie schon mal ein anderer. Muß ja nicht gleich der Teufel sein. Glauben Sie, die Adriana habe es mit der Vaterschaft so genau genommen wie Wappenmaler und Genealogen? Wenn du sündigst, sündige wacker, sagte der Luther. Nur wenn sich die Sünde gelohnt hat, macht sie gesunde Kinder. Da nehmen es die Weiber genau, sonst nicht. War ich Philipps Sohn? Ach Gott – meine Mutter wollte auch nicht so genau wissen, wessen Tochter sie war.
Je sème à tout vent
– mit einer andern Devise überlebst du keinen Krieg. Wir sind seine Kinder, denn er ist der Vater von allem, doch ein Kinderfresser ist er auch, wie die Zeit. Darum so bleiben wir nicht, Gott sei’s geklagt – da könnt ihr lange klagen. Wie überlebt man einen Krieg? Mit Gewalt– und kann von Glück reden, wenn sie nichts weiter verletzt hat als die Scham. Welcher Jahrgang sind Sie? Dann haben Sie allerhand Gewalt erlebt – und zweimal wehe, wenn Sie nur zugeschaut haben. Die Verschonten sind die Schlimmsten, denn sie begehen die einzige Sünde, die nicht verziehen werden kann. Sie nehmen sich von der Sünde aus, um die Sünder besser auszunehmen.
    So wortreich sind Sie vor vierzig Jahren nicht gewesen, sagte Achermann.
    Weil Sie mir die Sprache verschlagen haben, Verehrter. Sie gehören zu den halben Seelen, die sich ins Helfen verdrücken. Denen ist nicht zu helfen. Siehe Philipp von Hohensax. Ein Sünder wie jedermann, aber er hat es nur zum Pharisäer gebracht und die Sünde verleugnet, wenn sie ihm am nächsten war. Aber auch die Sünde ist deine Nächste, Mann, und wenn du sie nicht lieben kannst, was bist du für ein schwacher Christ! Was er an ihrer Stelle tat, war verkniffen und verdrückt, wie seine Liebhaberei mit der Minnehandschrift. So einen muß

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