Sax
vor, was er für beide tun konnte. Soll ich meines Bruders Hüter sein? Ja,du sollst, ohne zu fragen, ob du es kannst. Hubert legte noch zweimal ein Scheit nach und wickelte sich enger in seine Woll decke, und während Flammenzungen das knackende Futter ergriffen, fielen auch ihm die Lider zu.
Als er erwachte, war es in der alten Küche hell geworden. Tövet rührte sich nicht, als ihm Achermann die eigene Decke über die Knie legte, aber er atmete ruhig, und die Glutreste bedurften keiner Aufsicht mehr. Achermann stand auf und verließ das Haus, in dem noch nie eine Tür verschlossen worden war. Sein Kopf war so hell, wie er nach einer Nacht ohne Bett sein kann. Der Lack des Jaguars war beschlagen, als er die Tür aufriegelte. Das Wegwerfen der Hand, das mit der Fernbedienung verbunden ist, hatte er sich nie angewöhnt. Doch er hatte das Navigationssystem handhaben gelernt und war schon im Begriff, «Salez Löwen» einzutippen, als er sich eines andern besann. Es war Sidonies Wahltag. Selbstverständlich erwartete ihn jedermann, seinem öffentlichen Dispens zum Trotz, im Hotel Bellevue zu Bern, wo die Kandidatin logierte, und dann auf der Tribüne, um am wichtigsten Tag ihres Lebens unter den ersten Gratulanten zu sein oder das Netz der Gattenliebe für eine Stürzende bereitzuhalten. Suchte er seinen Weg jetzt mit «Ariadne», so würde man ihn zu finden wissen. Er schaltete das Gerät ab.
Noch waren die Straßen leer. Aus Dunstbänken erhoben sich kleine Hügel, auf denen ein einzelner Baum stand, eine Linde oder ein Ahorn, verfärbt wie ein Dekorationsstrauß. Diese ländliche Kulisse hatte für die Vorfahren noch das ganze Leben bedeutet. Jetzt hatte das Gesicht der Geranienfenster und Dahliengärtchen etwas von einer verschämt grinsenden Grimasse.
Drumlin, Nunatakker
, solche Zauberwörter hatte er in der Geographiestunde gelernt. Sie verbanden die Landschaft vor seinen Augen mit der vergletscherten Eiszeit. Auch der Sonnenaufgang, dem er entgegenfuhr, hatte die dünne Klarheit arktischer Breitengrade. Es blendete die Augen nicht, sondern schien sie kindlich zu weiten. Der Augenarzt hatte Achermann einen zunehmenden Tunnelblick attestiert, doch heuteschien sein Gesichtsfeld nach allen Seiten offen; auch an Tiefe hatte die Landschaft gewonnen. Die Scheinwerfer der spärlichen Fahrzeuge, die ihm entgegenkamen, vergrößerten sich auffallend langsam. Dabei zeigte ein Blick auf den Tachometer, daß er fast nie unter hundert Stundenkilometern fuhr –
Ka Emm
hatte Salomon gesagt, als sie in seinem Sportwagen durch die Wüste stoben, auf der leeren Autobahn, einem flimmernden Horizont entgegen. Aber statt den Luftspiegelungen aus Tausendundeiner Nacht zeigten sich nur die Scheuklappen der Billboards in nie abreißender Flucht. Am Ende aber tauchte doch eine Art Oase auf, vielmehr ein Massiv aus grell beleuchtetem Beton, das Stadion Xanadu, in dem eine Batterie Laserkanonen für nur dreißig Zuschauer Shaidan zum zweiten Mal an den Himmel malte, eine verschwenderische Insel des Scheins. Jetzt schwammen die tieferen Lagen in Dunst, die erstarrte Welle der Alpen stand in überirdischer Ferne am Horizont und rührte sich nicht, während die Straße durch die auf und ab schwellende Landschaft mutwillig immer höher zu tanzen schien. Bald war das Toggenburg erreicht, eine grüne Furche im Vorwerk des Alpsteinmassivs, mit dem das Hochgebirge weit bis zum Bodensee ausgreift. Aus diesem Tal stammte der Reformator Zwingli, aber es war zur Hälfte katholisch geblieben, sonst hätte die luzernische Kleinstadt keine Ferienkolonie in Wildhaus unterhalten. Wenn sich der Schnee rar machte, so standen doch die Klippen der Churfirsten immer noch wie Naturdenkmäler im Höhenlicht. Die eingesessene Armut war dem Toggenburg noch anzusehen; das einzige Hotel, das versucht hatte, ihm etwas große Welt einzuhauchen, hatte Konkurs gemacht. Als die Innerortstafel auftauchte, suchte Achermann das gelbe Haus am Hang, die Schindelfassade der Verbannung, von der ihn der Tod seiner Mutter erlöst hatte. Seine Augen fanden das Haus nicht mehr; er fuhr an einem Ort seiner Kindheit vorbei, den er sich damals nicht einmal richtig zu hassen getraut hatte. Auch die Berge, in denen er beinahe zum Klettern verurteilt worden war, standen jetzt im Glanz einer abgelebten Vergangenheit, als wären sie Zähne, denen man den Nerv gezogen hat.Wie
vorbei
sie war, die Landschaft, durch die er jetzt mit soviel Abstand des Herzens fuhr, als wären die drohenden
Weitere Kostenlose Bücher