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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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sagte der Mann mit dem röchelnden Baß, und keine Zicken.
    Entweder Sie lassen Ihre Waffe aus dem Spiel, oder Sie können mich gleich erschießen, sagte Achermann. – Ich komme nur ungezwungen. Wo haben Sie Ihr Fahrzeug?
    Auf dem leeren Parkplatz für Kirchgänger stand der Rolls-Royce.
    Aha, sagte Achermann. – Also
den
fahren Sie?
    Sie
fahren, sagte Diebold. – Er riß den Schlag auf, und kaum hatte sich Achermann ans Steuer gesetzt, wand sich Diebold auf den Rücksitz.
    Achermann glaubte in einem Boot Platz genommen zu haben, dessen Einrichtung aus Tropenholz gefertigt war; alle metallischen Teile waren vergoldet, auch die Kurbel, mit der er das Fenster öffnete. In der Turmöffnung sah er im hellen Mondschein die Frau mit einem Taschentuch winken. Er winkte zurück.
    Wohin soll’s denn gehen? fragte er.
    Über die Antwort wunderte er sich nicht, wohl aber, daß sie klang, als hätte er sie selbst gegeben.
    Nach Mosbach, sagte er.
    Und keine Zicken.
    Keine Zicken, wiederholte Achermann lachend, blickte in den Mond über der Kühlerfigur und drehte den Zündschlüssel.

26
November 2011. Begebenheit
    Bundesratswahl!
    Schon immer war, noch immer ist ihre Vorbereitung eine
cause célèbre
in der Republik, und im November 2011 war sie es mehr denn je. Das Land war seiner selbst nicht mehr sicher, und der Bundesrat, weniger eine Regierung als eine zur Erhaltung des Bundes verpflichtete Vormundschaftsbehörde, wurde eben vermöge ihrer altväterischen Unhandlichkeit mit elterlicher Vollmacht ausgestattet. Eltern kann man sich sonst nicht aussuchen; der Schweizerische Bundesrat bleibt eine feierliche Ausnahme.
    Seit Jahrzehnten verkörperte Schieß in der ungleichen Familie der Eidgenossen den unholden Vater des Vaterlandes. Grollend beschwerte er sich über dessen Undank, brachte aber mit seinem Gewicht jede demokratische Balance zum Kippen und hatte die Schweiz, vorgeblich um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten, in eine Ecke gedrängt, wo sie immer weniger zur Geltung kam. Inzwischen fanden nicht nur seine Gegner, das Land sei seit dem Ende des kalten Krieges nicht nur kleiner geworden, als es ohnehin sei, es sehe auch schäbiger aus als nötig. Zu lange und zu sorglos hatte es die ihm eigene Größe an Banken abgetreten, die nicht nur ein Vielfaches des Nationalprodukts umschlugen, sondern auch ein Geschäftsgeheimnis daraus machten und dieses als Staatssache behandeln ließen. So verstanden sie das Land als Geisel zu nehmen, und als im Herbst 2008 das globale Finanzgeschäft ins Bodenlose stürzte, mußte auch in der Schweiz der steuerzahlende Bürger für den Verlust geradestehen und sich selbst vorwerfen, fürschwindelhafte Geschäfte Schmiere gestanden zu haben und am Ende der Dumme zu sein. Peinliche Gelegenheiten häuften sich, bei denen der kleine Bund nichts dringender gebraucht hätte als Freunde. Und da zeigte sich, daß sie vom Gepolter des Volkstribuns vergrämt und erfolgreich verscheucht worden waren. Aus der neutralisierten Ecke, wo Hirtenknaben früher getrost, nur nicht laut ihre ins trockene gebrachten Schäfchen zählen konnten, war fast über Nacht ein Schand- und Schmollwinkel geworden, in dem sich nur noch Früchte des Zorns und der entrüsteten Enttäuschung ernten ließen – jetzt allerdings so reichlich, daß die Vaterländischen, Schieß im Sattel, mit dem Mähdrescher ernten konnten. Außer dem treuherzigen Vergißmeinnicht nahm der flotte Schnitt auch das Mutterkorn des Fremdenhasses mit.
    Als Sidonie für den Bundesrat kandidierte, war Schieß für viele seiner Mitbürger schon zur politischen Hypothek geworden. Aber noch hing ihm das politische Gewicht der Fakten an, die er selbst geschaffen hatte: mögen sie mich hassen, solange sie mich nur fürchten! Mit ihm konnte das Land keinen Staat machen, ohne ihn aber auch nicht – die Rolle des negativen Schiedsrichters schien ihm zuzusagen. Aber dieser Schein trog, wie andere Beobachter glaubten; nach ihnen wünschte er sich nichts inniger, als Landesvater zu werden, und hatte insgeheim keine größere Sorge, als dafür nicht wählbar zu sein. In seinem Unternehmen bestimmte er allein; die Politik war ihm, wie er gerne sagte, als solche schon Opfer genug. Für die Partei war er bereit, dieses Opfer zu bringen; gäbe es andere seinesgleichen, sagte er, schenkte er sich’s noch so gerne. In die Räte aber schickte er Leute wie Haudenschild, für die Politik natur gemäß kein Opfer war, denn sie lebten davon. Aber Leute wie

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