Sax
nicht einmal das Alibi seines Vaters. Denn er liest kein Buch! Passion, von wegen! Frauen sind Hündinnen; solange sie läufig sind, steckt man sie in den Keuschheitsgürtel, und wenn sie alt werden, fesselt man sie ans Töpfchen. Bin ich alt, Hubert?
Wenn er Sie hörte, sagte Achermann.
Und wie er uns hört, sagte sie. – Treten Sie mal ordentlich unter den Tisch, und wenn Sie auf so was Lauwarmes stoßen: das ist er. Ich muß nur einmal meinen Frieden wollen, so pirscht er sich an. Hervor mit dir, Friderichludewig, das Spiel ist aus.
Achermann hörte sie strampeln und treten, bis Gregor auftauchte, das Gesicht weiß vor Empörung.
Haben Sie das gehört? fragte er, an Hubert gewandt. – Warum sagen Sie nicht, was Sie denken? Ja, sie ist alt. Und blöde wird sie auch. Das Köpfchen ist leer, nur das Mündchen plappert noch, und warum plappert’s? Weil ihm keiner mehr dranhängt! Weil kein Fleisch mehr dran ist! Weil’s langsam vom Schädelchen blättert! Wer nuckelt an einem Öhrchen, wenn er fürchten muß, daß es ihm im Mund bleibt? Wer zuzelt an deinen Lederzitzen! Wer rappelt in deinem Leierkasten, dem ausgeleierten, der Scham, der ausgeschämten? Überall an dir gähnt’s, und jeder gähnt nur noch dabei, oder der Geruch wirft ihn um. Weißt du, was ist? Du stinkst den Männern, daß Gott erbarm!
Achermann versetzte Gregor eine Ohrfeige, daß er taumelte und fiel.
Wie reden Sie mit Ihrer Mutter!
Gregor rappelte sich auf, bis auf die Knie schaffte er es gerade und kniete weiter, bis er ausgeflennt hatte. Die Stimme, nicht mehr schrill, schwamm nölend in Jammer und Elend.
Wer hat mich denn unterm Tisch gehalten, wenn die Galane kamen, erst die Herren, dann die Knechte? Wer hat mich hergepfiffen, wenn es dir einer besorgt hatte, aber nicht tüchtig genug? Erst haben sie dich besprungen, dann ausgenommen wie ein Goldhuhn, ich mußte zusehen, und jetzt soll
ich
dein Geld durchgebracht haben! Weißt du, warum ich das mitgemacht habe? Weil ich sah, daß du schwach im Kopf wurdest! Deine Mannsbilder haben dir den letzten Funken Verstand abgezogen! «Zerebrale Porose» hat dir Doktor Faust in Staufen attestiert, natürlich nicht, ohne dich ebenfalls dranzunehmen, denn was gibt es Schöneres als ein Stück Fleisch ohne Verstand? Aber wenn die Frische auszieht, zieht der Wildgeruch ein, der Hautgout der Vergänglichkeit …
Was war die Sünde, die Sie ihm nicht vergeben können, Mevrouw? fragte Achermann.
Er hat das Buch verkauft, flüsterte sie. –
Die Liederhandschrift!
Wovon sollte der Ofen rauchen? fragte Gregor. – Vater hat das Buch gestohlen – ich habe es zurückgebracht.
Gestohlen? rief Adriana. – Es ist das einzige, was er nicht gestohlen hat! Aber hier sitzt ein Jurist.
Ich glaube nicht, sagte Achermann, daß es Diebstahl zu nennen ist, wenn ein Mensch sich den Text seines Lebens aneignet. Die Handschrift wurde in Münsterburg verfaßt – wie kommt sie nach Geldern zu den Karmelitern? Man könnte sagen, die Handschrift sei verlorengegangen und der Finder sei zum Mitnehmen berechtigt gewesen, als er sich als wahren Eigentümer erkannte. Dazu wurde er durch die Lektüre, als passionierter Leser; haben Sie nicht von seiner Passion geredet, Mevrouw?
Seiner einzigen, sagte sie.
Sie hat ihm als Vorlage für seine Schweinereien gedient, sagte Gregor.
Sprechen Sie wie ein Sohn? fragte Achermann.
Die Handschrift war sein Leib des Herrn, rief Adriana. – Und dieser kleine Mensch hat sie für dreißig Silberlinge verkauft, hinter meinem Rücken!
Hättest du Hurengeld genommen, ich hätte die Schwarte nicht versilbern müssen.
Und nach Heidelberg! rief sie. – Zu den Kalvinisten!
Sie zahlten am besten, sagte Gregor.
Und du willst ein Ritter sein? rief Adriana. – So redet ein Krämer!
Laßt es gut sein, sagte Achermann mit Vollmacht. – Friderichludewig, dies ist deine Mutter, Adriana, dies ist dein Sohn. Ich aber möchte jetzt meine Tochter sehen.
Das Kinderzimmer ist nicht geheizt, Euer Ehren, sagte Gregor.
Jetzt friert mich vor gar nichts mehr, sagte Achermann.
Friderichludewig ging voran, zuerst eine Wendeltreppe hoch, die Achermann an diejenige der Sternwarte erinnerte, nur war diese so schmal, daß man nicht fallen konnte. Hintereinander schraubten sie sich in die Höhe, Adriana zwischen den Männern, Hubert als letzter, der sich wunderte, wie geschickt die Dame ihre Schleppe zu raffen wußte. Er glaubte schon über alle Wipfel gestiegen zu sein, aber als sie durch eine
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