Sax
erkundigte sich bei der Sekretärin, die zum Aufbruch rüstete, ob er ihren Chef etwas fragen dürfe. Sie begann, ihm die Besuchszeiten des Chefs auseinanderzusetzen,als Herr Dr. Hahn aus seinem Arbeitszimmer trat und fragte, womit er denn dienen könne. Das müsse er ihm unter vier Augen sagen, habe der Fremde erwidert, immer sein schlafendes Kind auf dem Arm. Dr. Hahn habe die Leute in sein Büro treten lassen und nur gebeten, sie möchten sich kurz fassen. Darauf habe sich Achermann vorgestellt, bedauert, daß er keine Visitenkarte bei sich trage, und gefragt, ob dem OB ein Freiherr Philipp von Hohensax bekannt sei. Er sei gewissermaßen sein Vorgänger im Amt gewesen, als Vogt des pfälzischen Kurfürsten.
Da mußte OB Hahn zuerst zwei Dinge richtigstellen. Erstens: Mosbach war eine Stadt Baden-Württembergs. Zweitens: ein fürstlicher Vogt könne nicht Vorgänger eines Bürgermeisters gewesen sein, sondern, wenn schon, nur sein Gegenspieler. Beides gestand der Besucher zu, erinnerte nur daran, daß Mosbach vor 1803 kurpfälzisch gewesen sei, worauf der OB lächelnd entgegnete, leider reiche sein persönliches Gedächtnis nicht mehr als zweihundert Jahre zurück. Was er denn für ihn tun könne? – Für Herrn von Sax könne und müsse er etwas tun, habe der Besucher nun in großem Ernst erklärt, er müsse in Mosbach seine letzte Ruhestätte finden, denn in dieser Stadt sei er glücklich gewesen.
OB Hahn war ein sachlich und sportlich wirkender Vierziger, der gewinnend, darum gerne lächelte; dieses Lächeln muß in der Unterhaltung mit Achermann strapaziert worden sein. Denn der seltsame Mann hatte auch schon die Stelle im Auge, wo sein Freiherr beizusetzen war: in der Gutleutkapelle. Das kleine Gotteshaus liegt am Rande des neuen Friedhofs im Nordosten der Stadt, und auch wenn es keine bessere Stadttour zu besuchen versäumt, seit in der Kapelle gotische Fresken zum Vorschein gekommen und sorgfältig restauriert worden sind, bleibt das als Denkmal geschützte Ensemble abgelegen, namentlich nachts, und Gutleuthaus und Elendshaus sind an Gastarbeiter vermietet. Wer die Kapelle auf eigene Faust besucht, muß den Schlüssel im Bildhauergeschäft nebenan abholen und dafür seinen Reisepaß hinterlegen.
Im Fall Dr. Achermanns war, wie die Nachforschung ergab,nichts dergleichen geschehen, und doch gab er über das Innere der Kapelle so ausführlich Bescheid, daß OB Hahn nervös wurde; er hatte eine Gala zum Jubiläum seines Rathauses zu besuchen und mußte sich noch umkleiden. Achermann aber, das Kind auf dem Arm und den stummen Asiaten im Rücken, verlangte für seinen Freiherrn nun geradezu kategorisch ein Ehrengrab, und zwar neben Michael Entenfuß. – Entenfuß? fragte Hahn, womit er sich keinen Gefallen tat, denn nun verglich der Besucher die Verdienste seines Herrn von Sax ausführlich mit denjenigen eines Michael Entenfuß aus dem 16. Jahrhundert, von dem der Stadtvater ebenfalls zum ersten Mal hörte. Daß der Ehemann einer gerade gewählten Ministerin vor ihm stand, war ihm gestern natürlich noch nicht bewußt – heute um so mehr. Er gab an, Herrn Dr. Achermann
sehr höflich
beschieden zu haben, daß das «Ehrengrab», das er für einen zur Zeit gänzlich Unbekannten beanspruche, eines längeren Bewilligungsverfahrens bedürfe; daß bei einer allfälligen Öffnung des Kirchenbodens auch die Denkmalschutzbehörde mitzureden hätte usw. – Darauf könne er nicht warten, habe der Besucher erklärt, sie hätten den Freiherrn bei sich, und er wolle zur Erde.
Hat er gesagt, er führe einen Toten mit? wollten die Journalisten aus der Schweiz wissen. – Einen seit 1596 Totgemeldeten, aber
er lebe
– und in diesem Augenblick sei dem OB durch den Kopf gegangen, daß er einen ernsthaft gestörten Menschen vor sich haben könnte. – Ist das Ihr Kind? wollte er gefragt haben, um Zeit zu gewinnen, obwohl er sich eigentlich schon fragte, welchen Dienst er eher rufen mußte, die Sanität oder die Polizei. – Das sind die Meinen, habe Achermann gesagt, und auch sie wünschen nichts mehr, als daß Herr Philipp von Hohensax seine Ruhe findet. – Wo haben Sie denn … seine Gebeine? will Hahn gefragt haben, worauf Achermann gelacht habe, freilich nicht laut, um das Kind an seiner Schulter nicht zu wecken. – Gebeine! Der Freiherr könnte vor Ihnen stehen, so leibhaft wie ich selbst. – Der Eindruck, einen
herausgeforderten
Menschen vor sich zu haben, verstärkte sich, als er für Hohensax auch noch ein Denkmal
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