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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Vatter sälber i’ d’ Hose», ließ er in einer Sondersitzung des Parteivorstands verlauten. Sidonie war in aller Stille aus der Vaterländischen Partei ausgetreten, und man konnte gespannt sein, was jetzt aus dem «Gugger» würde; aber eigentlich war man es nicht mehr. Die Expedition war abgeblasen; wozu noch ein Basislager?

27
Januar 2012. Gaul
    Moritz Asser war zu Fuß gekommen, durch den verschneiten Planetenweg. Nun wärmte er sich im Weinkeller am Kaminfeuer auf. Sidonie hatte ihn schon nach ihrem Rückzug aus der Politik mit Vollbart erlebt, den einzigen der alten Bekannten, den sie wiederzusehen wünschte. Der Medientroß war weitergezogen. Einen kurzen Augenblick stand Sidonies Phantombild noch im Raum, das Negativ einer blendenden Erscheinung, vor der man die Augen verschlossen hatte. Dann stellte sich das wohltuende eidgenössische Zwielicht wieder her, und das Freundlichste, was sie über sich lesen konnte, war: sie habe Schaden von der Republik gewendet.
    Aber sie las es wohl gar nicht. Sie hatte ihrem Personal gekündigt und den Verwalter Bob Wittwer nach Shaidan geschickt, vielleicht als Quartiermacher. Denn sie hatte nicht dementiert, daß sie das Land zu verlassen gedenke. Einstweilen ließ sie sich noch von einem privaten Sicherheitsdienst abschirmen, denn nach wie vor trafen jeden Tag anonyme Drohungen ein. Auch Moritz hatte am Ende des Planetenwegs eine Kontrolle passieren müssen.
    Er hatte sich verändert, der elegante Mao-Look war einer schwarzen Kluft gewichen, deren lange Jacke zugleich als Mantel diente; eine graue Halsschleife verdeckte das Gilet mit Silberknöpfen. Sidonie wirkte in ihrem dunkelblauen Hosenkleid unverändert, nur das Mohikanische ihres Profils war ausgeprägter geworden, die Züge tiefer eingeschnitten, aber zum ersten Mal sah man darin den Ausdruck der Gelassenheit.
    Eingeschneit, sagte Moritz, mitten im Klimawandel! Schnee auf den Palmfächern, und der Christbaum sieht aus wie ein richtiger. Zehn Meter hoch und Kugeln wie Planeten!
    Hast du als Kind Weihnachten gefeiert?
    Tate wollte sich vor den Gojim nicht lumpen lassen. Aber die Chanukka-Leuchter waren eigentlich nur ein Abwehrzauber. Weihnachten, das waren die anderen. Und ich wollte einer von denen sein. Mich hatte ich sowieso.
    Das ist der Unterschied, Moritz, ich hatte mich nicht. Ich wollte irgendwo dazugehören, drinnen sein um jeden Preis.
    Für mich war draußen die wirkliche Welt, drinnen die wahre. Ich wollte beides so umkrempeln, daß am Ende die wirkliche zur wahren würde und umgekehrt.
    Bist du weiser geworden?
    Nur älter. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, sagte Erich Kästner. Irrtum. Wenn du das Gute nicht wiedererkennen willst, brauchst du es nur zu tun. Im Werk ist keine Gerechtigkeit. Ein alter Mystiker hat gesagt: die Werke verwirken Gottes Gruß. Vermutlich eine textile Metapher, aber seit ich gesehen habe, was beim Mitwirken aus mir selbst wird, kaufe ich dieses Tuch nicht mehr.
    Du hast den «Zinstragenden Sparhafen» abgestoßen.
    Mich
habe ich abgestoßen, und beim Versuch, mich aus dem Wirbel rauszuhalten, wäre ich fast noch reicher geworden. In einer bösen Minute dachte ich daran, dir den ganzen Krempel zu schenken.
    Glaubst du, von dir hätte ich etwas geschenkt genommen?
    Viel
Geld seriös loszuwerden ist gar nicht leicht. Billigem Geld trauen die Leute nicht. Was nichts kostet, kann ja auch nichts wert sein. In Island gab es ein
Powwow
darüber, wie sich eine stolze Nation an Finanzschwindler verkaufen konnte; das wollte ich sponsern. Bitte nicht! sagte mir Frau Asgeirsdottir. Es muß uns endlich was weh tun! Aber eigentlich meinte sie: bleib uns vom Leib, du Spekulant! Für ernsthafte Dinge ist Geld immer weniger zu gebrauchen.
Die Zeit läuft aus.
Wo ich das gelesen habe? Auf dem Plakat deines Kulturvereins. «Die Zeit läuft aus. Abokalypsen von Numa Gaul, Kultur im ‹Gugger›, 13.–15. Mai 2012.»
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kalypsen! Braucht da jemand einen Orthographiekurs?
    Bei Numa hat alles einen Sinn, auch Fehlleistungen.
    Du hättest bei der Kultur bleiben sollen. Dein Keller-Zyklus geht mir nach, bis heute.
Und was den Herd bescheidnen Schmuckes kränzte, / Was sich an alter Weisheit um ihn fand / In Weihgefäßen auf Gesimsen glänzte, / Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand.
Das hab’ ich schon als Gymnasiast gelesen und bin richtig erschrocken. Ich war Jude, und jetzt gab der Dichter alles in meine Hand, damit er ruhig sterben konnte. – Eigentlich geht es bei mir immer

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