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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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so kenne ich gar nichts mehr.
    Das ist Numa Gaul, sagte Sidonie, und das ist Moritz Asser.
    Wer kennt ihn nicht, sagte Gaul und reichte Moritz kauend die Hand. – Der Baalschem. Welche Ehre. Was haben Sie gegen «lecker»?
    Fast nichts, wenn Sie es sagen, antwortete Moritz.
    Aber noch genug, daß es Ihnen den Appetit verschlägt. Sie sind Kabbalist, ein Mann des Wortes.
    Nur Schweigen kann ich fließend, lächelte Moritz.
    Aber ich möchte Sie zum Reden bringen, sonst entgeht mir zuviel.
    An dieser Stelle sagte Hahn: Ich zöge mich dann zurück, wenn Sie erlauben.
    Herr Hahn! schrie Sidonie in ungespielter Verzweiflung. – Ich habe Sie nicht vorgestellt!
    Sidonie ging davon aus, daß wir uns hier schon begegnet sind, sagte Gaul. – Mit Recht. Aber Sie waren immer tief in Gedanken. Ein OB, der denkt. Natürlich habe ich Sie bemerkt. Mosbach! Das Palmsche Haus! Ein Juwel – aber die Kapferer-Häuser mit ihrem nüchternen Fachwerk sind mir noch lieber. Und wo gibt es in Deutschland ein Hexenhaus, wie es im Buche steht? Das Haus Kickelhain in Mosbach!
    Gaul hatte eine hastige, halb flüsternde Art, eindringlich zu formulieren, und sein kurzes Lachen war kaum von einem Räuspern zu unterscheiden. Beim Zugreifen tat er sich noch immer keinenZwang an, sprach ebenso herzhaft dem Rotwein zu und wischte sich fliegend die Lippen.
    Sie haben aufgegeben, Herr Asser, sagte Gaul. Und fuhr fort, als Moritz die Antwort schuldig blieb: Das habe ich hinter mir. Wo andere aufhören, fange ich an. Unserer Freundin muß ich das Aufhören ein wenig versüßen. Sie ist hart gelandet. Aber sie hat sie noch alle.
    Was für ein hinreißendes Kompliment, sagte Sidonie.
    Woran arbeiten Sie gerade? fragte Moritz.
    An einer kleinen Universalinstallation. Zum Abbauen. Ich bin Rückbauer, die Kunst ist ernst. Heiter ist das Leben schon ausreichend.
    Ihr Name war mir bisher nicht geläufig, sagte Moritz Asser.
    Das wird er auch nicht, hoffe ich. Geläufige Künstlernamen sind ein Greuel. Ich bleibe am liebsten grau – Maus oder Eminenz? ist dann die Frage. Eigentlich bin ich Wahrsager und als solcher immer in Lebensgefahr. Ich brauche eine gute Deckung, und es gibt keine bessere als die Kunst.
    Was sagen Sie denn wahr? fragte Moritz.
    Was wagen Sie denn zu wissen? fragte Gaul. Er griff in die tiefe Tasche seines grauen Arbeitsmantels und zog ein mit rötlichen Kügelchen gefülltes und einem Korkzapfen verschlossenes Reagenzglas hervor. – Das hat mir ein russischer Kollege aus Gulynki, Oblast Rjasan, geschickt, sagte er, er weiß, daß ich mich für dieses Granulat interessiere. Es könnte Sand aus Shaidan sein – jedenfalls sieht es ihm zum Verwechseln ähnlich. Aber neuerdings taucht es auch an anderen Stellen des Globus auf. Meist, nicht immer fällt es bei Feuersbrünsten an, zum Beispiel beim Brand Ihres Hauses in Münsterburg, Herr Asser, dem Ihre Anne Marie Kohlbrenner zum Opfer gefallen ist, bedauerlicherweise, aber gewiß nicht zufällig. Ebensowenig halte ich die Fundorte dieser Kügelchen für Zufall. Auch wenn ich das Verteilungsmuster noch nicht erkenne: ich wette, es gibt eines. Wissen Sie, wo das Granulat zum ersten Mal aufgetaucht ist? Bei der Leiche Dr. Tschirkys. Der ganze Bodenwar von Glasperlen übersät, sie knirschten unter den Füßen der Polizisten. Sie glaubten an einen geplatzten Sandsack, einen ausgelaufenen Briefbeschwerer – jedenfalls nicht an einen Schlüssel zur Tat; darum haben sie bis heute keinen. War es ein Mord? Es war eine einvernehmliche Hinrichtung, wenn ich mich so ausdrücken darf …
    Reden Sie von einem Kriminalfall oder einem künstlerischen Projekt? fragte Moritz.
    Wenn man beides nicht mehr unterscheiden kann, Herr Asser, sagte Gaul, wird es interessant. Das ist dann der Anfang vom Ende der Welt. Ich sage nur, es ist nahe herbeigekommen. Und ich sage wahr. «Die Wüste wächst, weh dem, der Wüsten birgt.» Wenn die Wüste an Orten durchschlägt, an denen man sie nicht vermutet … dann ist das so, als ab ein Damm zu nässen beginnt. Er hält nicht mehr lange.
    Sie erwarten hoffentlich nicht, daß wir Sie verstehen, Numa, lächelte Sidonie.
    Tschirky wurde kunstvoll enthauptet – das sieht ein Kind. Die Polizei sieht es nicht. Nur ein wenig Kunstverstand, und sie hätte den Täter schon. Aber sie weiß ja auch nicht, warum die Kohlbrenner ihren Brand gestiftet hat.
    Gestiftet!
lachte Hahn.
    Ich sehe nach meinen Worten und wähle sie mit Bedacht. Ich wette, Herr Asser hat mich verstanden. Erst

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