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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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deutscher Kleinstadtidyllen, als hätte sich Achermann die Etappen seiner Fahrt nach einem Nostalgie-Reiseführer ausgesucht. Aber während das heute badische Mosbach die Augen mit historischem Fachwerk verzauberte und immer noch ein reizvoll geschlossenes Ortsbild zu bieten hatte, verbarg das niederrheinische Geldern seine Kriegswunden nur mühsam durch eine eher lockere und etwas beliebige Bebauung. Nur um die Einkaufszone zogen sich die meist nüchternen Klinkerbauten zu einigen festeren Zeilen zusammen. Natürlich erfreuten sich die Schauplätze beider Orte ausführlicher Würdigung, zu Mosbach namentlich das historische Rathaus und die ehemalige Aussätzigenkolonie. Sogar das Entenfuß-Grab in der Gutleutkapelle erschien mit kenntlicher Inschrift, während man sich in Geldern auf den Hauptplatz mit dem Denkmal eines unkenntlichen Löwen beschränkte. Aber der krasse Anblick der freiherrlichen Mumie dominierte naturgemäß denjenigen der übrigen Vermißten, wobei zu ergänzen ist, daß der Asiate und das kleine Mädchen merkwürdigerweise von niemandem vermißt wurden. Das Publikum kam jedenfalls zu einem
mystery
mit einem Einschlag von Politkrimi, während die Fahndungsorgane die «Geisterfahrt» auf dem Boden harter Tatsachen weiterverfolgten. Nur schien der Teufel zu wollen, daß dieser Boden, je weiter man darauf vordrang, immer weicher wurde. Von allen ungelösten Rätseln, die der Fall auslöste, war das Auftauchen und Verschwinden eines kleinen Mädchens auf Achermanns Arm lange das populärste. Aber bald lief ihm eine ungewöhnliche Brandstiftung den Rang ab – auch von seiner Urheberin ging ein ganz eigener Schauder aus, und das Publikum genoß ihn in vollen Zügen.
    In der Nacht vom 24. auf den 25. November 2011 brach nämlich in der Altstadt von Münsterburg ein Großbrand aus, dem zwei historische Gebäude zum Opfer fielen, die Häuser «zum Eisernen Zeit» und «zum Schwarzen Garten». Das Feuer mußte lange unbemerktgeschwelt haben, bevor es in heller Lohe aus dem Dach schoß und der verstörten Nachbarschaft ebenso wie der alarmierten Feuerwehr zum ersten und letzten Mal die verborgene Gestalt der Kuppel enthüllte, deren Kupferdach in der höllischen Hitze wie Kerzenwachs zusammenschmolz. Man hätte glauben können, der Holzkasten, in den sie verpackt gewesen war, habe als Brandbeschleuniger gewirkt; denn sie warf, wie ein unverhofft aktiver Vulkan, eine glühende Masse aus, der mit handelsüblichen Löschmitteln nicht beizukommen war. Erst als es gelang, im Hof schweres Spritzwerkzeug aufzufahren, konnte man wenigstens die Ausbreitung des Feuers auf die Nachbargebäude verhindern. Doch die zwei historisch wertvollsten mußte man preisgeben. Nach sechs Stunden standen vom «Eisernen Zeit» und vom «Schwarzen Garten» nur noch die Grundmauern, und auch diese hatte eine wahnsinnige Glut so porös gemacht, daß das Gestein wie Tuff bröckelte.
    Glücklicherweise war nur ein einziges Menschenopfer zu verzeichnen, und die Experten ließen gar keinen Zweifel daran, daß Anne Marie Kohlbrenner (65) den Brand, in dem sie umgekommen war, selbst gelegt hatte. Sie war die nächste Mitarbeiterin Achermanns gewesen, daher hatte sie die Polizei, als er vermißt wurde, als erste vernommen. Sie gab an, daß er am Vortag der Wahl in sein Büro gekommen sei und es am Nachmittag gegen fünf verlassen habe, ohne Angabe seines Ziels; er sei ihr auch keine Auskunft schuldig. Den Beamten fiel auf, daß sie nicht eben untröstlich wirkte. Den Brandsatz in der Kuppelwand mußte sie lange vorbereitet haben, und das von ihr entfesselte Höllenfeuer hatte auch von ihr selbst nur gerade so viel übriggelassen, daß an ihrem Tod nicht zu zweifeln war. Sonst war das Haus bei Ausbruch des Feuers leer gewesen, und die Bewohner des «Schwarzen Gartens», der neunzigjährige Thomas Schinz mit Gattin und Personal, hatten sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Übrigens war Schinz der erste gewesen, der das Feuer beobachtet und seiner Frau Mara gemeldet hatte; von ihr war der Alarm ausgegangen, leider schon zu spät.
    Übrigens wäre da noch ein Phänomen zu melden gewesen, das die Brandexperten irritierte: zu den Zerfallsprodukten des Hauses «zum Eisernen Zeit» gehörte ein Granulat, das in so großen Mengen anfiel, daß die Feuerwehrleute auf der immer noch rauchenden Brandstätte durch wahre Dünen von verglastem Sand stapften, ein Material, das man noch nie gesehen hatte. Schuppisser, ein pensionierter Denkmalpfleger,

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