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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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der Dampf auch Sidonies Kindheit und Herkunft ins Zwielicht. Haften blieb, daß sie eine Landfremde war, und man mußte auch wissen, daß sie als Schauspielschülerin – leider habe ihr Talent nicht gereicht – in einer sexuell eindeutig definierten Frauenkommune gelebt hatte.
    Dröhnende Stille aus der Vaterländischen Partei. Ihr Volk sah nicht nur zu, wie die frisch gewählte Bundesrätin demontiert wurde; sie stimmte in das Murren ein. Den Anlaß lieferte die Aufführung eines angeblich landesfeindlichen Stücks, zu dem sie im «Gugger» Hand geboten habe. Ein Studententheater, junge Historiker, hatte statt Walter Fürst, Werner Stauffacher und Arnold Melchthal den Rütlischwur mit Schiller, Napoleon und dem Zaren Alexander I. besetzt. Was als provokativer Diskussionsbeitrag gedacht war, wurde der Herrin des Zentrums als gezielte Nestbeschmutzung ausgelegt. Was so «unsauber» war, mußte man beizeiten säubern – und wenn es die eigene Bundesrätin war. Die eigene? Schieß hatte sich nicht gerührt. Vielmehr gab er sich, auf peinliche Befragung, erschüttert von jener verzerrten Version des Rütlischwurs – davon habe er nichts gewußt. Das Signal war klar.
    Fehlte jetzt nur noch, daß sie überdies Gegenstand des Spottes wurde, und auch dies blieb ihr nicht erspart. In Geldern war eine Mumie aufgetaucht, versteckt an einem ganz und gar unwahrscheinlichen Ort: im Sitzungszimmer einer katholischen Stiftung, die jetzt eine Altentagesstätte unterhielt. Sie war der katholischen Pfarrei angeschlossen, dem letzten erhaltenen Gebäude des alten Karmeliterklosters, das im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war.Das makabre Objekt war im Fuß eines wandhohen Bücherschranks zum Vorschein gekommen; im Raum, wo früher der Kapitelsaal des Klosters gestanden hatte, aber keine der Archivalien reichte hinter den Ersten Weltkrieg zurück. Diese Schränke waren wohl jahrelang nicht mehr geöffnet worden, bis eine örtliche Arztgattin, auf der Suche nach Vorfahren, die Tauf- und Totenbücher konsultierte und zu ihrem Entsetzen im Zwischenraum zwischen Büchern und Wand auf eine mumifizierte männliche Leiche stieß. Sie saß in Kauerstellung wie in einer prähistorischen Grabkammer.
    Nach seinem Erhaltungszustand zu schließen, mußte der Tote bei weitem älter sein als der Schrank, in dem er gefunden wurde; andererseits wies die MRI-Abbildung in seinen Herzgefäßen Titanium-Stents aus, die erst seit einem guten Jahrzehnt in Gebrauch sind. Zur Feststellung der Person stellte das Institut eine DNAAnalyse an, und im internationalen Fahndungscomputer zeigte sich, daß sie nur mit einer einzigen Probe vollkommen übereinstimmte: derjenigen Hubert Achermanns. Selbstverständlich war diese Koinzidenz ganz einfach Unfug, und Sidonie Wirz weigerte sich, für die läppische Gegenüberstellung mit einer Mumie nach Düsseldorf zu fahren. Um so williger sprang ein trickreicher Journalist ein, der sich zu geschützten Daten Zutritt zu verschaffen wußte und die ledernen Reste von willigen Fachleuten als diejenigen Achermanns identifizieren ließ. Er sei erwürgt worden.
    Wenn ein Rätsel dermaßen aller Vernunft spottet, glauben die Menschen an einen üblen Scherz und helfen sich, indem sie mitlachen. Und jetzt lachten sie auch über Sidonie, eine Unperson, der man nicht mehr nahezutreten fürchtete. Es sehe ihr ähnlich, daß man ihren Mann in diesem Zustand finde; sie habe ihn schon früher vertrocknen lassen, und die Deutschen könnten ihn jetzt gründlich abstauben. Ernsthaftere Leute kommentierten das Naturspiel nicht. Für sie blieb Hubert Achermann verschollen – aber es erübrigte sich wohl, ihn noch lange zu suchen. Die Mumie von Geldern blieb in der Asservatenkammer des Gerichtsmedizinischen Instituts Düsseldorf, und in der «Titanic» ließ sich ein Witzbold vernehmen,wenn sich der Freiherr von Hohensax nicht mehr finde, könne man den Schweizern ja Hubert Achermann zurückerstatten.
    Ein Scheitern wird unwiderruflich, wenn es die Betreffende selbst beim Namen nennt – und niemand widerspricht. Am 20. Dezember 2011 erklärte Sidonie Wirz ihren Rücktritt vom Amt einer Bundesrätin, bevor sie es angetreten hatte; ein einmaliger Fall in der Geschichte des Bundesstaates. Sie verzichtete darauf, ihren Schritt zu begründen. Die öffentliche Meinung fand die Sprache erst wieder, als Schieß das Zeichen dazu gab. Er werde für die erneute Ersatzwahl kandidieren, es sei ein Opfer, aber er müsse es bringen. «Jetzt mueß de

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