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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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ziehen
mußte
– und da war’s um den großen Kriegsmann auch schon geschehen. Mit einer schweren Schädelwunde brachten sie ihn nach Forsteck zurück, wo ihm noch eine Woche blieb, der Obrigkeit von Münsterburg sein Leid zu klagen, eigenhändig, und ihren Beistand anzurufen; schon sein Vater war Bürger dieser Stadt gewesen. Zu spät – aber es dauerte nur noch wenige Jahre, bis ihr die Herrschaft Sax für ein paar Silberlinge in den Schoß fiel. Adriana und ihr Früchtchen, der von vier reformierten Städten begrüßte Stammhalter, hatten das Vermögen flott durchgebracht und Konkurs gemacht. Hubert, was ist? Warum sehen Sie mich so an?
    Ich bin nicht Philipp von Sax, sagte Achermann in allem Ernst.
    Darauf trinken wir, sagte sie. – Ich weiß doch gar nicht, wer Sie sind, Hubert, wie sollte ich Sie gerade für Sax halten? Nichts mehr von ihm.
    Sie suchen einen Anwalt. Machen wir einen Termin aus.
    Sie verabredeten sich auf Donnerstag in seinem Büro auf dem Dach. Sie erklärte, jetzt nach Hause gehen zu wollen, und lehnte Huberts Angebot, sie zu begleiten, ab. Sie habe nur fünf Minuten zu Fuß in ihre WG.
    Sie wollte sich gerade verabschieden, da ereignete sich etwas Unerhörtes. Der junge Mann mit dem kahlen Schädel, der bisher zwei Schritte entfernt am Geländer gestanden hatte, trat auf sie zu und sagte:
    Schäm dich.
    Und im nächsten Augenblick hatte er sich aufs Geländer geschwungen, balancierte einen Augenblick auf der obersten Stange, dann drehte er sich gegen Sidonie, hielt sich die Nase zu wie ein zimperliches Schulmädchen auf dem Sprungbrett und ließ sich langsam nach hinten fallen, in die Krone des Lindenbaums. Ein Aufschrei ging durch die Terrasse, während der Mann durch das Laub in die Tiefe stürzte, man hörte Zweige brechen, Äste knacken, doch der erwartete Aufprall blieb aus. Viele rannten zumGeländer, einige, Frischknecht voran, ins Haus, um über alle Treppen die Haustür und durch die Hintergasse den Hof zu erreichen.
    Von oben konnte man nicht sehen, nur hören, wie jemand ins Astwerk kletterte; Zurufe verrieten, daß der Springer heil geborgen war. Doch dauerte es eine Weile, bis die Helfer wieder auf dem Dach auftauchten. Hermann trug den Kahlkopf auf dem Rücken; Jacques’ Zimmer, in dem sie ihn ablegen wollten, blieb verschlossen. Doch jetzt stand er schon wieder auf eigenen Füßen und wirkte bis auf ein paar Kratzer unverletzt, blieb aber sprachlos. Er wurde als Gregor angeredet. Moritz tastete ihn ab.
    Wo bist du zu Hause?
    Nirgends.
    Und wo sonst?
    In Rapperswil.
    Achermann erklärte, er begleite ihn im Taxi; Sidonie war verschwunden. Gregor saß auf dem Sofa und ließ den Kopf im Nacken kreisen. Plötzlich sagte er: Du bist nicht Philipp von Hohensax?
    Ich? fragte Hubert Achermann.
    Hüte dich, antwortete Gregor. – Du kommst dran.
    Es sollte, bis Rapperswil, sein letztes Wort bleiben. Dort nannte er dem Fahrer eine Adresse. Sie lag in einer Siedlung eintöniger Wohnblocks. Gregor hatte die Schlüssel verloren, vermutlich beim Sturz in den Baum. Es dauerte lange, bis ein mürrischer alter Herr herausgeklingelt war, der ihn einließ. Er ging ohne Dank. Achermann bezahlte das Taxi und ließ es fahren. Er war nicht weit vom Kloster entfernt, in dem er zwei Jahre verbracht hatte.
    Es tagte schon, als er zurückkehrte. Die Terrasse war aufgeräumt, zusammengeklappte Möbel, Stapel von Getränkekästen standen zum Abtransport bereit. Die Morgenbrise blätterte in der Linde, das Holz des Turmaufbaus war schwarz vom Tau. Achermann setzte sich an den Schreibtisch und starrte auf den dunklen Würfel. Erkam von einer langen Reise zurück. Dabei hatte er seinen Ort nicht verlassen, den Steinblock am Wasser, der sich in zwanzig Jahren ebensowenig verändert hatte.
    Als er neun Jahre alt gewesen war, war seine Mutter vom Kirchturm gesprungen. Er war in der Ferienkolonie gewesen, von Herzen ungern. Eigentlich war dieses Sommerlager in Wildhaus armen oder verwahrlosten Kindern des Städtchens zugedacht. Wie gern hätte Hubert in einer Ecke nur sein Buch zu Ende gelesen und gleich das nächste angefangen. Aber zu Hause gab es jetzt keinen Platz für ihn. Mutter war gemütskrank und seit Monaten in einem Heim. In den Ferien kam sie nach Hause, versuchsweise. Wenn das Geschäft ruhig sei, könne der Vater auch einmal eine Reise mit ihr machen, sagte der Pfarrer. Vielleicht besuchen sie dich einmal in Wildhaus! Da gab es ja auch Ausflüge für ihn. Er werde bergsteigen, vielleicht gar

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